Rezension

Ein beklemmendes Psychogramm

Schattengesicht - Antje Wagner

Schattengesicht
von Antje Wagner

Würde M. Night Shyamalan (Regisseur von "The Sixth Sense", "The Village") Bücher schreiben, dann solche wie Antje Wagners "Schattengesicht". Noch meisterlicher, wie der für seine unvorhersehbaren Enden bekannte Filmemacher, schafft sie es den Leser am Ende des Buches schockiert, perplex und nachdenklich zurückzulassen.
Über den Inhalt will ich an dieser Stelle gar nicht viel verraten, den jedes Wort zu viel geht auf Kosten des außergewöhnlich gestrickten Plots und könnte zukünftigen Lesern den Lesegenuss nehmen: "Schattengesicht" ist die düstere und traurige Geschichte der beiden jungen Frauen Milana und Polly. In zeitlich umgekehrter Reihenfolge von der Gegenwart bis zurück in die Kindheit werden Episoden aus ihrem Leben geschildert, in denen sie fast jedesmal eine Leiche zurücklassen. Die Morde wären beinahe schwarzhumorig, würde nicht etwas Ungreifbares und Rätselhaftes die beiden Frauen umgeben: Warum schrecken Menschen vor Pollys Stimme zurück?
Antje Wagner hat mit "Schattengesicht" etwas geschafft, was schon lange keinem Buch mehr gelungen ist: ich habe es in einem Stück VERSCHLUNGEN! Sie spielt mit der Wahrnehmung des Lesers, lässt ihn zwischen den Zeilen Dinge herauslesen, die gar nicht real sind. Zum ersten Mal bin ich Antje Wagner auf den Leim gegangen, was den Begleiter von Milana und Polly anging und sie hat es bis zum Schluss wieder und wieder geschafft mich an der Nase herumzuführen. Immer nur bruchstückweise macht sie Anspielungen auf das düstere Geheimnis der beiden Frauen, gerade genug, um die Neugier bis auf ein schier unerträgliches Maß zu steigern. Man versucht dem Rätsel auf die Spur zu kommen, liest schneller und schneller, weil man nicht ans Ende spicken und somit der Überraschung vorgreifen will, ist wie gefangen vom Sog der Geschichte. Immer wieder habe ich mir Gedanken über die Lösung gemacht und am Schluss saß ich da wie vor den Kopf gestoßen. Ja, ach ja... die Puzzleteile fügten sich zu einem völlig schlüssigen Bild zusammen, und trotzdem hat Antje Wagner es geschafft, dass sich mir das bedrückende Rätsel eines einsamen Lebens erst auf den allerletzten Seiten offenbarte!
"Schattengesicht" ist vielmehr ein Psychogramm als ein Krimi oder Thriller, sprachlich ein Hochgenuss, und dazu noch mit einem optisch stimmigen Cover ausgestattet: das Schwarzweiß-Foto wirkt beklemmend ohne Effekthascherei, genau wie der Inhalt, der sich hinter diesem Buchdeckel verbirgt.