Rezension

Ein berührender Cold-Case

Unter der Mauer
von Melanie Lahmer

Bewertet mit 3.5 Sternen

"Unter der Mauer" ist der Start einer neuen Reihe der Autorin Melanie Lahmer rund um Psychologin Nike Klafeld.

 

Als Nikes Band ihren Probenraum in einem alten Weltkriegsbunker räumen muss, stößt sie auf Schnipsel eines Tagebuchs. Geschrieben 1983 von Michi, die in der DDR aufgewachsen ist und sich nach Freiheit sehnt. Nike puzzelt die Fetzen zusammen und begibt sich auf die Suche nach der Tagebuchschreiberin.

 

Die Geschichte wird in zwei Zeitsträngen erzählt. Der erste Handlungsstrang folgt Michi im Jahre 1983 und später ihrer Familie kurz nach der Wiedervereinigung. Der Hauptstrang ist Nikes Geschichte in der Gegenwart. Der Schreibstil der Autorin ist angenehm und flüssig zu lesen, ohne dabei auf Fachbegriffe, die Nike als Psychologin zum einen kennen sollte, zum anderen an den passenden Stellen auch verwendet. Die Beschreibungen wirken lebendig, an einigen Stellen entsteht eine großartige Atmosphäre - vor allem im Zusammenhang mit dem Bunker, der für meinen Geschmack als Setting häufiger hätte Erwähnung finden können.

 

Die Struktur der Geschichte ist für einen Krimi ungewöhnlich, das übliche Leiche-Ermittlung-Falllösung findet hier nicht statt. Gut die erste Hälfte beschäftigt sich Nikes Strang nur minimal mit dem im Klappentext beschriebenen Fall, der Fokus liegt hierbei mehr auf ihrer persönlichen Familiengeschichte. Damit wird der Grundstein für die folgenden Bücher um Nike Klafeld gelegt, wer allerdings auf Spannung von Anfang bis Ende sucht, ist dadurch bei dieser Geschichte falsch. Erst im letzten Drittel kommt wirklich Schwung in die Geschichte. Leider ist dies nur ein relativ kurzer Spannungsmoment, um die Geschichte zu Ende zu bringen.

 

Die Figuren sind mit viel Liebe gestaltet, haben alle ihren eigenen Kopf, handeln dadurch aber zeitweise auch mal überraschend bzw. für den Leser in der Situation ein wenig unlogisch. Insbesondere Nike neigt zu Sprunghaftigkeit und bleibt damit bis zum Ende unberechenbar.

 

Wesentlich besser hat mir die Handlung in der Vergangenheit gefallen. Michis Tagebuch ist in jedem Abschnitt spannend, ihre Gefühle gehen dem Leser nahe - egal ob ihre Angst und ihre Zweifel oder ihre Hoffnung auf die Freiheit. Ihre Sehnsucht nach der Welt geht beim Lesen unter die Haut, sodass ich einige Male tief Luft holen musste, bevor ich weiter lesen konnte.

 

Der Klappentext ist für mich  ein wenig irreführend. Wer, wie ich, einen typischen Krimi mit einem Cold-Case Fall erwartet, der ist hier definitiv falsch. "Unter der Mauer" ist mehr eine Familiengeschichte mit Krimi-Elementen. Persönlich war ich anfangs etwas enttäuscht davon, allerdings habe ich die Figuren mit der Zeit lieb gewonnen und warte nun definitiv auf den nächsten Band, um zu erfahren wie es mit Nike, ihrem Job und ihrer Familie eigentlich weiter gehen wird.