Rezension

Ein beschriebenes Blatt

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass - Alexi Zentner

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass
von Alexi Zentner

Bewertet mit 4 Sternen

Jessup ist siebzehn, ein sehr guter Schüler. Er liebt Football und seine Freundin Deanne. Ein junger talentierter Mann, dem nach der High School der Weg auf ein College offensteht. Wäre da nicht sein älterer Bruder Ricky, der zwei schwarze Studenten zu Tode geprügelt hat und eine sehr lange Haftstrafe dafür abbüßen muss. „White Trash“, so nennt man Menschen wie Jessup und seine Familie. Sie wohnen in einem Trailer, sie gehören nicht zu den gut situierten Bewohnern von Cortaca, einer kleinen (fiktiven) Universitätsstadt. Dennoch könnte Jessup alle Chancen haben. Wäre da nicht ein besonderes Footballspiel, eine hässliche Auseinandersetzung, ein Unfall, der für einen schwarzen Jungen tödlich endet.

Der amerikanische Autor Alexi Zentner steckt viel Herzblut in seinen Roman „Eine Farbe zwischen Liebe und Hass“. Im Vorwort zum Buch berichtet Zentner über seine eigene Familie, seine Mutter, die sich stark gegen Rassismus und Antisemitismus engagierte. Als Zentner 18 Jahre alt war, warfen Neonazis eine Brandbombe auf das Haus seiner Eltern. Seither stellte er sich die Frage, ob Hass genauso kompliziert sei wie Liebe, wie sich sein Leben unter einem anderen Leitstern entwickelt hätte, was nötig ist, ein guter Mensch zu sein, zu werden. Welche Fehler machen wir, was für Narben tragen wir davon?

Mit Jessup hat Alexi Zentner einen Protagonisten geschaffen, der sich auch all diese Fragen stellen muss. Ein Protagonist  aus einer ungewöhnlichen Perspektive auf Rassenhass und Ausgrenzung.

Jessup will nicht so sein, wie die Leute denken, dass er sein müsste. Will nicht wie sein Bruder sein, nicht wie sein Stiefvater David John, der als Beitragstäter bei Rickys Tat vier Jahre im Gefängnis verbüßt hat und gerade aus der Haft entlassen wurde. Jessups Familie ist eine Paradebeispiel für den weißen Abschaum, für asoziales Pack. Drei Kinder hat Jessups Mutter, alle von verschiedenen Männern. Erst mit David John wird sie beständig. David John hatte ein gutes Auskommen als Installateur, er pocht auf Ordnung und tadellose schulische Leistungen. David John, der versucht Ricky und Jessup ein guter Vater zu sein, und seiner leiblichen Tochter Jewel erst recht. Was niemand sieht, sind, die großflächigen Tätowierungen mit Nazi-Symbolen am Rücken. David John der so zum Vorbild für Ricky wird. Brennendes Kreuz, reines Blut, 88.  Jeden Sonntag geht die Familie in die „Heilige Kirche des weißen Amerikas“, deren Vorstand David Johns Bruder Earl ist. Nur Jessup hat seit Rickys Verhaftung keinen Fuß mehr in diese Kirche gesetzt. Ricky distanziert sich von all dem nationalistischen, rassistischen Gedankengut. Sein Football Coach, den Jessup respektiert, ist schwarz. Deanne, Jessups Freundin, ist die Tochter des Coach.  Seine guten Leistungen sind Jessups Ticket raus aus Cortaca und doch klebt das Etikett „Rassist“ an ihm.

„Kleinstadt, Kleinstadt, Kleinstadt. Hier ist niemand ein unbeschriebenes Blatt.“

Jessups Blatt wird noch mal neu geschrieben, als bei einem unglücklichen Unfall ein schwarzer Junge stirbt. Richtig, oder falsch, Jessup muss eine Entscheidung treffen. Er wendet sich an „seine“ Leute, seinen Stiefvater, der wiederum an den Prediger Earl.

Was dann passiert ist ein Meisterstück an Polemik und politischer Inszenierung. Unter dem Deckmantel christlicher Nächstenliebe, einer eigenwilligen Interpretation der Bergpredigt der - einer für Rechtsradikale nicht untypische Verhaltensweise – Opferumkehr, wird Jessup instrumentalisiert.

„Wie kannst du von Liebe reden und einer Kirche angehören, die Hass predigt?. Wie kannst du  mir sagen, dass Jesus mir helfen wird, weil er alle seine Kinder liebt, und hast diese Tätowierungen am Rücken?“

Nur wer außerhalb seiner Blase hinschaut und zuhört, grenzt nicht aus, kann die Zwischentöne zwischen Liebe und Hass sehen und argumentieren, um Sichtweisen zu ändern, Standpunkte zu  verrücken. #blacklivesmatter ist gerade brandaktuell. Die Stimmen der afroamerikanischen Gemeinschaft setzen sich laut ein gegen Ungerechtigkeit und werden gehört. Hier gibt Alexi Zentner der anderen Seite eine Stimme. Auch wenn es ungewohnt ist, lohnt es sich darauf einzulassen.