Rezension

Ein besonderer Roman

Der Nachtwächter
von Louise Erdrich

Bewertet mit 5 Sternen

Am 1. August 1953 verabschiedete der Kongress der USA ein Gesetz, mit welchem sämtliche Verträge mit indigenen Völkern, die mit der Formulierung „solange das Gras wächst und die Flüsse fließen“ geschlossen wurden, für nichtig erklärt wurden. Viele Stämme standen somit vor der „Terminierung“, darunter auch die Turtle Mountain Band of Chippewa. Basierend auf der realen Figur ihres Großvaters erzählt Louise Erdrich ihre Geschichte.

Wir begleiten hauptsächlich Thomas, Nachtwächter in einer Lagersteinfabrik und Patrice, genannt Pixie, seine Nichte, die in derselben Fabrik tagsüber arbeitet – beide werden ihre ganz eigene Rolle im Kampf für die Rechte ihres Stammes und damit auch ihrer Familien und Freunde spielen. Aber auch die alltäglichen Probleme der Chippewa sind Thema: Alkoholismus, Rassismuserfahrungen, Armut und Ausbeutung. So ist beispielsweise Patrices Schwester Vera verschwunden und scheint in die Fänge Krimineller geraten zu sein.

Dieser Roman ist wirklich besonders. Die Sprache ist poetisch, voller detaillierter Beschreibungen, aber auch Humor. An der Erzählweise ist zudem besonders, dass nicht nur Menschen zu Wort kommen, sondern auch Tiere und sogar der Geist eines Verstorbenen. Das passt besonders gut in den Kontext dessen, was die Chippewa glauben, ihrer Traditionen und Rituale. Zudem lebt die Geschichte natürlich von ihren Charakteren. Protagonist Thomas ist ein stolzer Mann, der trotz ständiger Erschöpfung immer für seinen Stamm da ist und den Kampf gegen die Terminierung anführt. Patrice hingegen plagt die Sorge um ihre Schwester, mit ihren kleinen Gehalt in der Fabrik ernährt sie die gesamte Familie. Und sie gibt dem Romantitel einen doppelten Sinn, hält sie doch oft genug nachts Wache, um Mutter und Bruder vor dem gewalttätigen Vater zu beschützen.

„Der Nachtwächter“ ist ein Roman, der einen lange nicht loslässt. Aus unserer naiven Perspektive scheint es unbegreiflich, wie indigene Völker, die die USA lange vor den Weißen besiedelt haben, immer weiter von ihrem Land und aus dem Gedächtnis gedrängt werden sollen. Umso wichtiger ist diese Lektüre, die darüber hinaus auch ein absoluter Genuss ist.