Rezension

Ein besonderes Buch

Die besseren Wälder - Martin Baltscheit

Die besseren Wälder
von Martin Baltscheit

Bewertet mit 5 Sternen

„Es kommt doch nicht darauf an, wo du herkommst. Es kommt darauf an, wohin du gehst und mit wem.“

 

Zäune bieten Schutz vor unerwünschten Eindringlingen und aufdringlichen Blicken Fremder. Gerne umzäunen wir Menschen auch unsere Seelen, um unser Innerstes zu schützen. Um uns vor etwas Fremden abzuschirmen, das uns große Angst macht, weil wir es nie kennengelernt haben. Oder um etwas fern zu halten, das uns tief verletzen könnte. Manchmal errichtet man jedoch Zäune, die anderen die Freiheit nehmen. Aber Zäune kann man überwinden…

 

„Die Zukunft ist schön. Sie ist weiß wie der Schnee und jeder kann sein Bild darauf malen.“ Seite 22

 

Schon als kleiner Wolfswelpe hörte Ferdinand von seinen Eltern die wundervolle Geschichte von den besseren Wäldern. Wäldern, in denen es unzählige Schafe und fette Wildschweine gibt, an denen man sich satt essen kann. Wäldern, in denen alles leuchtet und warmes Wasser aus silbernen Rohren fließt und heißer Kaffee in silbernen Kannen serviert wird. Eines Tages wird Ferdinand in diesen Wäldern leben, denn seine Eltern haben es ihm fest versprochen. Sie müssen nur noch auf den Winter warten, weil dann genügend Schnee um die Zäune liegt, die die besseren Wälder schützen, um sie überwinden zu können.

 

„Bin ich wie ich – gibt`s Prügel. Bin ich wie sie, gibt`s warme Milch. Das ist okay für mich, damit kann ich leben.“ Seite 148

 

Was wie ein wundervolles Märchen beginnt, endet tragisch. Als einziger überlebt Ferdinand die Flucht seiner Familie in die besseren Wälder und wird von Schafen aufgezogen. Von seiner wahren Herkunft ahnt er nichts und lebt als Wolf im Schafspelz. Bis er eines Morgens neben seiner toten ersten großen Liebe erwacht…mit Blut überströmt.

 

Martin Baltscheit erzählt in seinem explosiven Roman über alltägliche Dinge, die wohl jeden Menschen bewegen. Er erzählt uns die Geschichte von einem jungen Wolf, der sein Leben unter Schafen verbringt, ohne sich an seine Wurzeln erinnern zu können. Er ahnt nicht, wie sehr sie noch in seiner Seele verankert sind und was sie bedeuten. Impulsiv und ausdrucksstark vereint Baltscheit in seinem außergewöhnlichen Gesellschaftsentwurf viele brisante Themen, die wohl jeden Leser ansprechen. Indem wir Leser Ferdinand durch einige schwierige Zeiten begleiten, bemerken wir, wie wichtig es ist, seine Wurzeln zu kennen, oder dass es nicht immer von Vorteil ist, sich aus Angst dem Fremden zu verschließen. Durch die ergänzenden und sehr menschlich gestalteten Illustrationen von Martin Baltscheit kommt man beim Lesen nicht umhin, sich an die eigenen Wurzeln zu erinnern. Auch ich fand viele Parallelen zu meiner Kindheit, denn wie Ferdinand lebte ich in einem durch Mauern zweigeteilten Land und hörte abends wunderschöne Geschichten von dem goldenen Westen hinter der Mauer. Einem Land, in dem die Menschen immer glücklich waren, weil sie alles kaufen konnten, was sie mochten oder gar in fremde Länder ohne Einschränkungen reisen konnten.

Was mir an „Die besseren Wälder“ besonders gefallen hat, ist, dass Martin Baltscheit seiner Kreativität freien Lauf gelassen hat. Er verändert nach Belieben Schriftart, Schriftstil und Farbgestaltung. Baltscheit nutzt oft schwarze und weiße Farben für seine Figuren, auch um den Leser die Wirkung von Vorurteilen näher zu bringen. Er verändert im Verlauf der Geschichte auch seinen sehr poetischen und metaphorischen Stil und spricht dann in sehr klaren, manchmal etwas ruppigen Worten. Viele Sätze laden zum Verweilen und Nachgrübeln ein, weil sie immer eine tiefere Bedeutung haben. Und viele Situationen in die Ferdinand gerät, sind übertragbar in das Hier und Jetzt.

Martin Baltscheit hat mit „Die besseren Wälder“ ein besonderes Buch geschaffen, das ich uneingeschränkt empfehlen kann. Es ist eine sprachlich aufwendige moderne Fabel, mit wertvollen Botschaften, authentischen Figuren und opulenten Illustrationen fernab des Mainstream.