Rezension

Ein bewegender Debütroman mit ungewöhnlichen Gegensätzen

Die Verseflüsterin - Nicolas Fougerousse

Die Verseflüsterin
von Nicolas Fougerousse

Bewertet mit 4 Sternen

"HÖR AUF DEINE GEFÜHLE. Das hatte auf dem Zettel gestanden. Nur das, in Großbuchstaben. Eine Allerweltsschrift auf ebensolchem Papier, nichts, was auf die Person, die den Zettel unter den Scheibenwischer geschoben hatte, hätte hindeuten können. Marcus war schon im Auto gesessen und hatte den Motor angelassen. Da erst bemerkte er das Stück Papier unter dem Scheibenwischer. Sicher wieder irgend so eine Werbung ... Er stieg nochmal aus, ging um die Wagentür herum, schnappte sich den Zettel und wollte ihn schon zusammenknüllen und wegwerfen. Erst in letzter Sekunde fiel sein Blick auf das, was da geschrieben stand. HÖR AUF DEINE GEFÜHLE." 

 

 

Marcus ist Franzose, 37, verheiratet und arbeitet in La Défense westlich von Paris in einem renomierten IT- und Consultingunternehmen. Alles könnte perfekt sein, wäre da nicht dieses unerklärliche Gefühl in seinem Bauch. Ihm ist klar, dass seine Probleme und Misstimmungen im Vergleich zu vielen anderen Jammern auf höhstem Niveau sind. Aber irgendetwas fühlt sich nicht (mehr) richtig an. 

Eines Tages findet er eine mysteriöse Notiz an der Windschutzscheibe hinter seinem Scheibenwischer, der später zwei weitere Botschaften folgen. Marcus quälen unzählige Fragen: Wer ist der anonyme Verfasser dieser Nachrichten? Warum bekommt gerade er, gerade jetzt, diese mysteriösen Botschaften? Oder macht sich jemand einfach nur einen Spaß mit ihm?  

 

Die Leseprobe in der Verlagsvorschau hat mich sehr neugierig gemacht auf dieses Buch. "Viel mehr als nur eine nette Geschichte", "eine Lektion fürs Leben", "ein hinreißendes Debüt, dass die Seele berührt". Da konnte ich einfach nicht wiederstehen. 

Doch dann kam es ganz anders als erwartet. In die Geschichte hineinzufinden, ist mir überhaupt nicht schwer gefallen. Obwohl Marcus durchaus sympathisch ist und man sich als Leser ganz sicher in einigen Situationen wiederentdecken kann, blieb mir die Hauptfigur aber leider bis zum Schluss zu blass. Der Schreibstil ist leicht zu lesen und stellenweise wirklich sehr berührend und poetisch. Aber auch hier trifftet der eigentliche Roman immer wieder mal in Richtung Sachbuch ab. Die mentalen, geistigen Übungen - die ich sehr gelungen finde und die mich wirklich inspiriert haben - sind eher sachlich, erklärend geschildert. Ich fühlte mich als Leser immer wieder hin- und hergerissen. 

Immer wieder wurden auch sexuelle Themen angesprochen und eine Wendung in der Geschichte hat mich dann kurzzeitig wirklich komplett aus dem Lesefluss gebracht haben. Da musste ich meine Gedanken erst einmal neu für mich ordnen und sortieren. Aber das ist wirklich rein subjektiv. Denn "Die Verseflüsterin" ist wirklich ein gelungenes, außergewöhnliches Debüt, dass mir viele Anregungen mit auf den Weg gegeben und mich nachdenklich zurückgelassen hat.    

 

Etwas, das mir auch noch nach Tagen im Gedächtnis geblieben ist, das "viel zu Tun" nicht immer gleichzusetzen mit "viel Erleben" sein muss. Auch die Idee sich jeden Abend die Zeit zu nehmen, um sich zu besinnen und an drei schöne Dinge zu erinnern, die einen am Tag begegnet sind, finde ich eine schöne Inspiration, die ich gern für meinen Alltag übernehmen möchte. 

 

Der Roman wurde 2017 im LIBRA-Verlag veröffentlicht. Libra ist das neue Belletristik-Imprint des Scorpio-Verlags, das Literatur für die Seele verspricht.

Als Hardcover mit Schutzumschlag ist es hochwertig verarbeitet und überzeugt auch innen mit seiner wunderschönen, liebevollen Gestaltung der Kapitel. Ich mag dieses beschriebene, davonwehende Blatt (welches sich auch auf dem Cover wiederfindet) zu Beginn der drei Teile und die Überschriften und Wortanfänge der einzelnen Kapitel sehr. 

Auch das Cover ist wirklich wunderbar. Da fällt etwas unerwartet quasi aus den Wolken in deinen Schoss und du musst entscheiden, was du daraus machst.  

 

 

Fazit: 

Ein bewegender Debütroman über den Sinn des Lebens, über Schmerz, Rache und Vergebung, der mich nicht nur wegen seiner ungewöhnlichen Gegensätze sehr nachdenklich zurückgelassen hat.