Rezension

Ein bewegendes Leben

Durch alle Zeiten - Helga Hammer

Durch alle Zeiten
von Helga Hammer

Bewertet mit 5 Sternen

Stundenlang stand Elisabeth neben ihrem Vater. Nie hatte er das Wort an sie gewandt, nie hatte er gelächelt, er aß und trank, ging weg und kam wieder. Wie hatte die Mutter das ausgehalten?

Elisabeth wächst in ärmlichen Verhältnissen in den österreichischen Bergen auf. Schon früh wird ihr bewusst, dass sie mehr vom Leben erwartet. Sie bricht aus, beginnt eine Ausbildung an der Haushaltsschule und verliebt sich unsterblich in Niklas. Auch er ist sofort angetan von der dunkelhaarigen Schönheit. Doch Niklas versteckt sie und bald wird klar, er hält die Beziehung geheim. Die Erkenntnis, dass Elisabeth für seine Familie nicht standesgemäß ist und er hinter ihrem Rücken schon eine andere trifft, bricht ihr fast das Herz.

Elisabeth flieht erneut.
Sie ergreift ein Jobangebot, das sie nach England führt, wo das Leben und die Liebe viel leichter und unbeschwerter sind.
Erst die Nachricht vom Tode ihrer Mutter lässt sie nach daheim zurückkehren, mit einem unehelichen Kind unter dem Herzen....

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Der Titel besagt es schon, wir begleiten Elisabeth "Durch alle Zeiten" in ihrem langen Leben. Davon gibt es einige gute, aber es gibt auch viele schwere Zeiten. 

Helga Hammers Roman spiegelt das Bild der Frau und ihre Möglichkeiten, in den ländlichen 60-igern, gnadenlos wider. Es ist die Zeit der Kuckuckskinder und der Vernunftehen.

Elisabeth kommt einem wie eine Gefangene in ihrem eigenen Leben vor, trotz dass sie alles dransetzt aus dieser vorgezeichneten Rolle auszubrechen. Und obwohl einem durch den klaren, knappen  und sehr distanzierten Schreibstil, die enge emotionale Verbindung zu ihr fehlt, hat mich ihr Leben und ihre Geschichte dennoch sehr berührt und mitgenommen. Sie ist eine unheimlich starke Persönlichkeit, die ihr Ziel verfolgt und dadurch sehr mutige aber für den Aussenstehenden oftmals auch sehr egoistische Entscheidungen trifft.

Der Erzählstil war im ersten Moment gewöhnungsbedürftig, im Zweiten aber umso interessanter.
Die Kapitel sind relativ kurz, manchmal sogar nur 2-3 Seiten und es gibt mit jedem Kapitel einen Wechsel. Die erste Ebene zeigt Elisabeths derzeitiges Leben und auf der anderen wird ihre Vergangenheit erzählt. Durch den kontinuierlichen Wechsel ist man chronologisch bei allen wichtigen Ereignissen dabei; die Unbeschwertheit, die erste Liebe, Enttäuschung usw. und auf der anderen Seite geht man im hier und jetzt mit, denn auch ihr derzeitiges Leben auf dem Brandstätterhof steht nicht still.
Was ich damit sagen will, es gibt keine langen rückblickenden Erzählungen, sondern auf beiden Ebenen relativ gleichmässige Happen.

Der Autorin versteht sich darauf beide Erzählstränge geschickt nebeneinander herlaufen zu lassen. Das besondere Kunststück, zum Ende hin fliessen sie ineinander über, ohne sich zu wiederholen, zu überschneiden oder irgendetwas vorwegzunehmen.

Ein Roman, der auf knapp 300 Seiten ein ganzes, sehr bewegendes Leben erzählt und den Leser dabei mitnimmt, ist schon großes (Kopf) Kino.
Helga Hammer hat das geschafft. Trotz oder vielleicht grade durch ihre knappen Szenen, die Kunst das Prägnante herauszufiltern und in wenigen Sätzen aufleben zu lassen.
Mit einer Distanziertheit und manchmal gradezu Herzlosigkeit, Emotionen beim Leser aufkommen zu lassen.
Mit einer Heldin, die oftmals am sympathisch-sein vorbeischrappt aber dafür authentisch bleibt. Und mit der man trotzdem mitfühlt, weil man sie versteht, wenn man auch selber vielleicht anders gehandelt hätte.

Fazit: Eine intensive Lebensgeschichte, die vor allem für die ältere Generation nachvollziehbar sein wird und auf die jüngere Leser sich vielleicht erst einmal einlassen müssen. Ich liege dazwischen und mich hat Helga Hammer von der ersten Seite an mitgenommen durch eine bewegte Zeit.