Rezension

Ein Blick durchs Schlüsselloch in Edith Louisa Sitwells Leben

Die Dame hinter dem Vorhang - Veronika Peters

Die Dame hinter dem Vorhang
von Veronika Peters

Bewertet mit 4 Sternen

Nachdem die Tochter des Hauses den Yorkshire Landsitz der adligen Familie Sitwell hinter sich lässt und nach London zieht, folgt die 18-jährige Gärtnertochter Jane Banister Edith Louisa Sitwell und wird das Dienstmädchen der Dichterin, die ihrer eigenen Familie eine traurige und schmerzhafte Kindheit verdankt und ihr seit Jahren zu unbequem ist. Im Zeitraum von 37 Jahren entsteht zwischen der intelligenten und schlagfertigen Edith und Jane eine ganz besondere Beziehung, die beiden Frauen mögen sich und werden zu Vertrauten, obwohl sie aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stammen. Durch Edith Sitwell bekommt Jane Banister einen Einblick in die Welt der Künstler, geht mit ihrer Dienstherrin auf Reisen und lernt so einige berühmte und illustre Persönlichkeiten kennen. Aber auch Ediths unglückliche und vergebliche Liebe zum russischen Maler Pavel Tchelitchew erlebt Jane mit und versucht, Edith vor weiterem Unheil zu bewahren. Erst der Krieg führt Edith Sitwell zurück auf den heimischen Landsitz Renishaw Hall, wo sie das Anwesen für Künstler öffnet. Ihren Lebensabend verbringt Edith Sitwell in London, wo sie 1964 im Alter von 77 Jahren stirbt.

Veronika Peters hat mit „Die Dame hinter dem Vorhang“ das Leben der englischen Dichterin Dame Edith Louisa Sitwell (1887-1964) durch die Erzählungen einer fiktiven Bediensteten Revue passieren lassen, die viele biografische Züge enthält. Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft, der Leser fühlt sich während der Lektüre wie bei einem Kaffeekränzchen, bei dem das Dienstmädchen Jane aus dem Nähkästchen plaudert. Schon der Aufbau des Romans ist bemerkenswert, denn er erzählt Edith Schicksal in Rückblenden durch die Augen ihrer Bediensteten. Die sehr gute Recherche der Autorin sowie die wunderbare Verknüpfung von Fiktion und Wahrheit geben dem Leser einen guten Einblick in das Leben der Dichterin. Die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten sind ebenso ein Thema wie Standesdünkel, der Krieg oder auch die Künstlerszene, der sich Edith in besonderem Maße zugehörig fühlte und damit ihrem eigenen einengendem Background entfliehen konnte. Peters zeigt aber auch eine erschreckende Kindheit auf, geprägt von körperlichen Schmerzen und von Eltern, die ihrer Tochter gegenüber kaum Nähe und Liebe zulassen, weil sie dem damaligen Schönheitsideal nicht entsprach.

Die Charaktere sind sehr detailliert, individuell und glaubwürdig gestaltet und lassen den Leser auf besondere Weise ganz nah an sich heran. Edith ist die älteste Tochter einer Adelsfamilie, die aufgrund ihres wenig attraktiven äußeren Erscheinungsbildes von ihren Eltern abgelehnt wird. Sie besitzt einen wachen Verstand und weiß sich mit Wortgewandtheit ins Licht zu setzen. Aufgrund ihrer recht trostlosen Kindheit hat sie sich zu einer starken und selbstbewussten Frau entwickelt, die ein recht gutes Verhältnis zu ihren jüngeren Brüdern Sacheverell und Osbert pflegt, sich aber auch in Kreisen bewegt, in denen ihr namhafte Künstler T.S. Eliot oder Billy Wilder begegnen. Sie ist recht unkonventionell und exzentrisch. Jane ist die Enkelin des Gutsgärtners, die Tochter von Emma, die Edith schon von Kindheit an kannte und ihren Leidensweg innerhalb der Familie miterlebte. Jane ist fleißig, zuverlässig und vor allem mit den Jahren eine unverzichtbare Vertraute, die ihre Rolle als Bedienstete voller Inbrunst verrichtet. Aber auch Hanna Rootham sowie einige andere Protagonisten spielen durchaus eine Rolle in Edith Leben.

Mit ihrem biografisch angehauchten Roman „Die Dame hinter dem Vorhang“ gibt Veronika Peters dem Leser nicht nur einen schönen Blick durchs Schlüsselloch in das Leben von Edith Louisa Sitwell, sondern lässt auch die damalige Zeit und deren gesellschaftliche Normen wieder lebendig werden, in der sich eine starke und unkonventionelle Frau zu behaupten wusste. Verdiente Leseempfehlung!