Rezension

Ein Buch, bei dem sich die Geister scheiden

Der mexikanische Fluch -

Der mexikanische Fluch
von Silvia Moreno-Garcia

Mit „Der mexikanische Fluch“ von Silvia Moreno-Garcia ist der international gefeierte Schauerroman nun auch in deutscher Übersetzung erschienen.

Erzählt wird die Geschichte der jungen Noemí. Sie kommt aus wohlhabendem Hause, führt ein Leben voller Partys, liebt Tänze und Musik und sucht – sehr zum Missfallen ihres Vaters - noch nach dem richtigen Studium, um sich selbst zu verwirklichen. Doch Noemís Sorglosigkeit findet ein jähes Ende, als sie ein verstörender Brief ihrer Cousine erreicht. Hat Catalania ihren Verstand verloren oder steckt tatsächlich etwas hinter den konfusen Behauptungen der jungen Frau? Will ihr frisch angetrauter Ehemann Virgil Doyle sie tatsächlich vergiften? Und was bedeuten all die anderen bizarren Andeutungen in ihrem Brief?
Zutiefst beunruhigt reist Noemí ins mexikanische Hochland, um in dem düsteren Familiensitz der Doyles nach ihrer Cousine zu sehen. Dort stößt sie schon bald auf ein undurchdringbares Gespinst von Geheimnissen, Mysterien und menschlichen Abgründen.

„Der Mexikanische Fluch“ ist zweifellos ein Buch, bei dem sich die Geister scheiden werden. Es basiert auf dem klassischen Bild des abgelegenen, knarrenden Herrenhauses inklusive nebligen Privatfriedhof, eigentümlicher Familie und düsterer Vergangenheit. Es vereint viele Elemente des klassischen Schauerromans, wer auf eine Explosion an Horror und Action hofft, wird jedoch zwangsläufig enttäuscht. In meinen Augen kreiert die Autorin eine eher unterschwellige, langsam gärende Atmosphäre der Beklommenheit, mit einzelnen Szenen die durchaus Gänsehaut und Ekelpotential mitbringen. Mich hat das sehr mitreißen und begeistern können, ich glaube aber auch, dass viele das anders sehen werden.
Den Schreibstil der Autorin habe ich als sehr einnehmend und atmosphärisch erlebt. Die teilweise ausschweifenden Beschreibungen, ungewöhnlichen Ausdrucksweisen und evidenten Wiederholungen waren anfangs gewöhnungsbedürftig, dennoch gelingt es der Autorin recht schnell eine sehr stimmungsvolle, düstere und schaurige Atmosphäre zu erschaffen, die die Seiten durchdringt und einen unwiderstehlichen Sog kreiert. Darin besteht für mich der entscheidende Pluspunkt dieser Lektüre.

Interessanterweise war es diese Atmosphäre und Anspannung, die mich weiterlesen ließ. Allein aufgrund der Handlung war „Der Mexikanische Fluch“ nämlich kein Page-Turner. Im Grunde passiert während zwei Drittel des Buches nicht viel. Noemí verbringt die ersten 250 Seiten damit, im Haus oder auf dem Grundstück herumzustreunen und lebhafte Albträume zu haben. Sicherlich gibt es von Zeit zu Zeit Informationen, die relevant für die Handlung sind, aber im Großen und Ganzen gab es keine nennenswerte Entwicklung.
Als sich die Dinge in High Place dann endlich zuspitzen, fühlt es sich an, als wäre auf den letzten Seiten eine Unmenge an Material und Wendungen hineingestopft worden. Mir persönlich war das etwas zu viel, zu hektisch und es fehlte der Aha-Moment, die Art von Plot-twist, die einen vor den Kopf zu stoßen weiß und komplett überrascht.

Auch die Charaktere in diesem Buch waren für mich eine zweischneidige Klinge. Einerseits waren sie sehr interessant ausgearbeitet, besonders die Doyles waren jeder für sich spannende, wenn auch enorm unliebsame Figuren, die einander gut ergänzt haben. Lediglich Francis, der jüngste der Familie, fällt augenscheinlich aus dem Raster.
Zudem muss der Schauplatz des Romans unbedingt hervorgehoben werden. High Place ist so gegenwärtig und lebendig, dass es sich de facto als eigenständige Figur präsentiert. Es ist die perverse Imitation eines Heims, zugleich korrupt und korrumpierend und hat seine Bewohner fest im Griff. Meisterhaft und außergewöhnlich bezieht die Autorin diesen Ort in diese Geschichte mit ein und kreiert damit einen ungeahnten Schrecken.

Und dann ist da schließlich noch die Heldin des Romans, Noemí Taboada. Sie ist definitiv kein Fräulein in Nöten, sondern wird den Lesern vorgestellt als eine eigensinnige, intelligente und entschlossene junge Frau. Wenn jemand fähig ist, das Grauen in High Place zu entschlüsseln, dann ist das Noemí. Leider hatte ich im Laufe der Geschichte immer stärker das Gefühl, dass Noemí ihren anfänglichen Schneid verliert. Ihre Versuche sich gegen die Doyles, besonders gegen Virgil, aufzulehnen haben bisweilen etwas kindlich Trotziges an sich und es blitzt nur noch gelegentlich die junge, einnehmende Frau durch, die sie zu Beginn der Geschichte ist. Auch wirkte ihre Figur insgesamt eher oberflächlich auf mich.
Unterm Strich konnte ich den Charakteren in diesem Buch viel abgewinnen, aber ein ‚Makel‘ den sie in meinen Augen alle teilen, ist die Eindimensionalität. Bei keinem zeigt sich eine nennenswerte Charakterentwicklung, kein Wachstum und leider auch keine Überraschungen. Die Rollen sind von Anfang an klar verteilt und ändern sich im Laufe der Geschichte kaum.

Mein abschließendes Fazit fällt trotz der Kritikpunkte jedoch positiv aus. Obwohl mir rückblickend all diese Sachen und noch mehr zu Figuren und Handlung aufgefallen sind, habe ich es während des Lesens nicht als sehr störend empfunden. Ich war so gefangen in dieser Atmosphäre aus kalter Beklommenheit und Anspannung, dass ich gar nicht anders konnte, als weiterzulesen. Es war so packend und befremdlich, wie ich es mir beim Lesen des Klappentextes erhofft hatte.
„Der Mexikanische Fluch“ ist ein Buch, auf das man sich möglichst unvoreingenommen einlassen sollte, doch wer sich von der Atmosphäre mitreißen lässt, wird diese Leseerfahrung bestimmt zu schätzen wissen.