Rezension

Ein Buch, das es einem nicht einfach macht, es zu mögen

In einem Boot - Charlotte Rogan

In einem Boot
von Charlotte Rogan

Ein Buch mit einigen Längen und einer regelrecht unsympathischen Hauptfigur, das am Ende viele Fragen offen lässt, aber zwischendrin doch auch faszinieren kann.

Inhalt

Grace, 22, Überlebende eines Schiffsunglücks, ist des Mordes angeklagt. Wie es dazu kam, davon handelt in großen Teilen dieses Buch.

Rückblick: Grace, frisch verheiratet mit dem wohlhabenden Henry, befindet sich an Bord der Zarin Alexandria und macht sich am Vorabend des Ersten Weltkrieges von England aus auf den Weg zurück nach Amerika. Doch dann geschieht das Unglück: es gibt eine Explosion und das Schiff geht unter. Grace kann sich in letzter Minute noch auf eines der Rettungsboote retten, wo sie zusammen mit 38 anderen Passagieren auf Hilfe wartet. Doch diese kommt und kommt einfach nicht. Die Nerven liegen blank und der Kampf ums nackte Überleben hat begonnen...

 

Meine ausführlichere Meinung

Selten habe ich mir so schwer getan ein Buch zu rezensieren. Dies liegt nicht daran, dass etwa das Spannungsmoment fehlt, da man ja von Anfang an weiß, dass Grace das Unglück überlebt hat. Gewiss nicht. Schließlich ist man neugierig zu erfahren, warum sie des Mordes angeklagt wurde und man spekuliert fleißig, wen sie denn nun um die Ecke gebracht haben soll und wie das Ganze passiert ist.

Nein. Es liegt zum Großteil an der Protagonistin Grace. Diese ist keine typische Hauptfigur, da meiner Meinung nach ganz bewusst das ganze Buch über eine Distanz zwischen ihr und dem Leser gewahrt wird. Ja, Grace ist regelrecht unsympathisch, da sie berechnend ist und emotionslos scheint, stets auf den eigenen Vorteil bedacht.

Zum anderen liegt es daran, dass das Buch nicht glatt geschliffen und rund ist, sondern ganz viele Ecken und Kanten sowie Löcher hat. Ein unbequemes Buch. Es bleiben wahnsinnig viele Fragen offen, so dass ich als Leserin oft frustriert war. An manchen Stellen habe ich das durchaus begrüßt, da es einfach realistisch ist und manche Fragen eben nicht geklärt werden können. Doch gab es auch Stellen, gerade gegen Schluss, die rein von der Logik her bekannt sein müssen, uns Lesern aber vorenthalten werden. Warum ist mir nicht wirklich ersichtlich, auch wenn aus dem Text eindeutig herauszulesen ist, dass dies mit voller Absicht geschehen ist. (Siehe allerletzter Satz des Buches.)

Zudem gab es einige Längen und aufgrund der Vielzahl der Figuren war es manchmal schwer, den Überblick zu behalten. Hier wäre ein Personenregister sicherlich recht hilfreich gewesen. 

Doch zwischendrin gab es auch den Moment, in dem ich gefangen und fasziniert von dem Buch war. Zugegeben, kein besonders langer Moment, aber nichtsdestotrotz gab es ihn. Und einzig und allein dieser Moment hat das Buch für mich quasi aus den Tiefen der Verstörtheit und Langeweile kurzzeitig in die Höhen besonderer Leseerfahrungen gehoben. Gut, danach ist es wieder abgestürzt, aber dennoch, der Moment war für mich da.

Der Schluss hingegen, der sich nun mit der Gegenwart und Graces Gerichtsverhandlung befasst, führte wieder in das unselige Tal der Frustrationen, da gerade hier doch so einfache Fragen, deren Antwort einfach bekannt sein müssen, unbeantwortet bleiben. Ich will wissen, wer Grace des Mordes angeklagt hat, verdammt noch mal! Es kann doch nicht so schwer sein, dies in einem kurzen Nebensatz zu erwähnen?

Aber gut. Ich werde wohl damit leben müssen, dass ich es nie erfahren werde...

 

Hinweis (besonders für alle, die das Buch noch nicht gelesen haben, aber es gerne tun wollen)

Auf der Website der Autorin Charlotte Rogan findet sich ein Plan des Rettungsbootes sowie eine Passagierliste, welche auch dem Buch selbst als Anhang von großem Nutzen hätten sein können. Diese können dem ein oder anderen bei der Lektüre sicherlich helfen, sich das Ganze besser vorzustellen und den Überblick nicht zu verlieren

http://charlotterogan.com/the-lifeboat/passenger-list

 

Fazit

Ein Buch, dass mich furchtbar frustriert hat, aber auch zwischenzeitlich faszinieren konnte. Es überwiegen jedoch eindeutig die Momente der Frustration.