Rezension

Ein Buch, das ganz viel Aufmerksamkeit braucht!

Ein anderer Takt - William Melvin Kelley

Ein anderer Takt
von William Melvin Kelley

Bewertet mit 5 Sternen

William Melvin Kelley ist einer dieser Autoren, die erst nach dem Tod Bekanntheit erlangen – jedoch nicht annähernd in der Form, wie er es verdient hätte. Im Vorwort wird er in einem Satz mit James Baldwin und anderen großen Weltliteraten genannt, allerdings nur bezogen auf sein Schreibtalent, nicht auf seine Popularität.

„Ein anderer Takt“ gilt gemeinhin als sein bekanntestes Werk, was umso erstaunlicher ist, da es sich hier um ein Debüt handelt und zu einer Zeit erschien, in der die Rassentrennung immer noch ein großes Thema war (nicht, dass sie das nicht heute auch noch wäre).

In seinem Roman entwirft Kelley ein Szenario, das sich für mich absolut neu las. Aufgrund eines Ereignisses verlassen alle dunkelhäutigen Menschen den Süden und streifen ihre Ketten ab, angefangen in der Kleinstadt Sutton. Dabei fokussiert sich der Roman darauf, wie es zu dem Ereignis kam. Die Konsequenz daraus nimmt nur einen geringen Teil ein und wird zum Schluss kurz abgehandelt. Was schade war, für mich bietet dieses Szenario wahnsinnig viel Potential und ich hätte gern mehr darüber gelesen.

„Schweigend saßen sie da und dachten darüber nach, was das alles mit jedem Einzelnen von ihnen zu tun hatte und wie sich der nächste Tag, die nächste Woche, der nächste Monat vom vergangenen Tag, der vergangenen Woche, dem vergangenen Monat, von ihrem ganzen bisherigen Leben unterscheiden würde. Keiner war imstande, es zu Ende zu denken. Es war, als würde man versuchen, sich das Nichts vorzustellen, etwas zu erfassen, das noch nie jemand gedacht hatte. Keiner von ihnen verfügte über einen Bezugspunkt, an dem er das Konzept einer Welt ohne Neger hätte festmachen können.“ (S. 271)

Interessant hierbei ist, dass die Geschichte pro Kapitel aus einer anderen Perspektive geschrieben ist und wir so einen Rundumblick erhalten und zudem, dass jede Perspektive die eines weißen Protagonisten ist. Vor allem die Perspektivwechsel empfand ich als wahnsinnig gelungen und machten aus der eh schon spannenden Prämisse ein hervorragend durchdachtes und toll inszeniertes Buch.

Kelley denkt sich dabei erstklassig in seine Figuren hinein und verwebt deren Gedanken und Handlungen zu einem stimmigen großen Ganzen. Auch wenn wir hier in einer Zeit sind, in der die farbigen Menschen nicht mehr als Eigentum galten, so ist der Rassismus in den Köpfen doch allzu präsent, auch bei denen, die sich eigentlich auf der anderen Seite wähnen. Wenn die Tochter einer gut betuchten Familie davon spricht, welche Vorteile es bringt mit einer farbigen Frau befreundet zu sein, da diese bei Männern unbegehrt sind und keine Konkurrenz darstellen oder wie seltsam es ist, einen farbigen Menschen nach seiner Meinung zu fragen, dann hat mich das erst einmal wütend gemacht. Von einem anderen Protagonisten zu lesen, dessen Gedanken sind: „Es war seltsam, mit so vielen Negern in einem Wagen zu sitzen, auch wenn es meine Freunde waren.“ (S. 179) zeigt es, dass die Trennung in den Köpfen der Menschen allgegenwärtig ist. Zwar gibt es auch die Seite, die sich innerlich dagegen ausspricht, aber die Dinge trotzdem geschehen lässt.

Kelley hat hier ein Buch entworfen, über das ich noch gerne lange sinniere und das in seiner Form unvergleichlich ist. Ich kann nur hoffen, dass diesem Autor post mortem die Wertschätzung widerfährt, die er verdient hat. Ein grandioses Buch!