Rezension

Ein Buch, das unter die Haut geht

Sieh mich an - Erin Stewart

Sieh mich an
von Erin Stewart

Bewertet mit 5 Sternen

„Das Leben ist kein Musical, Ava, aber es ist dein Leben. Niemand kann dich für eine Rolle darin besetzen, wenn du es nicht zulässt.“ Er hält meinen Blick fest. „Also, welche Rolle willst du spielen?“

Schaut nicht jeder manches Mal in den Spiegel und ist unzufrieden mit sich? Dann gibt es da einen unschönen Pickel oder eine kleine Unregelmäßigkeit. Doch obwohl es dafür Make-Up gibt, haben wir direkt das Gefühl, dass jedem auffällt, dass irgendetwas im Gesicht nicht stimmt. Aber das Gute ist, dass wir dafür Make-Up haben. In der Regel können wir überdecken, was uns stört und zurück in unseren Normalzustand kommen.

Dieses „Normal“ gibt es für Ava nicht mehr. Mir fehlt die Vorstellung, wie es sein muss, wenn man eines Tages im Krankenhaus aufwacht und Verbrennungen an 60 Prozent des Körpers hat. Ich habe schon davon gehört, dass es Verbrennungen zweiten oder dritten Grades gibt, aber dass es auch tatsächlich Verbrennungen vierten Grades gibt, war mir neu. Hier gibt es kein Überschminken oder Abdecken, hier gibt es kein zurück in die alte Normalität. Hier kann man sich zu hundert Prozent sicher sein, dass andere Menschen die Narben sehen.

Als Jugendlicher ist die Schule nicht immer leicht, aber wenn man mit sich selbst auch nicht im Reinen ist und sich an ganz viele neue Sachen gewöhnen muss, dann ist diese Zeit um ein Vielfaches schlimmer. Avas Geschichte, die in diesem Jugendroman erzählt wird, ist ebenso wie ihr Leben nicht immer schön. Als Überlebende eines Brandes gibt es für sie schlechte und manchmal weniger schlechte Tage. Es wird hier sehr deutlich beschrieben, dass eine solche Katastrophe einen vollständig entgleist und man sich jeden Tag seiner neuen Realität stellen muss. Einer Realität, die so schlimm sein kann, dass man sich noch nicht mal traut, in den Spiegel zu schauen, weil man Sorge hat, das eigene Gesicht nicht wiederzuerkennen.

Die Geschichte ist mir unter die Haut gegangen, weil hier so viele Emotionen vermittelt werden, dass ich mit Ava gelitten habe und Stück für Stück gemerkt habe, wie einzelne Aspekte auch besser werden können. Die Narben können zwar nicht verschwinden, aber der Blick auf sie, kann sich verändern. Narben allein machen die Persönlichkeit nicht aus und jeder trägt schließlich Narben – nur sind manche besser zu sehen.

Neben den Narben und dem Überleben geht es in dem Buch jedoch auch um die Freundschaft, die Familie, die wahren Werte im Leben und die Musik. Es ist somit keineswegs ein deprimierendes Buch, wobei ich fairer Weise auch sagen muss, dass ich an einer Stelle echt mal Tränen in den Augen hatte. Einzelne Szenen sind jedoch auch wirklich witzig, sodass man auch manches Mal über die Geschichte Lachen kann. Ich kann insgesamt versprechen, dass man dieses Buch nicht lesen und dabei nichts empfinden kann. In meinen Augen ist dies ein grandioser, bewegender und sogar inspirierender Roman.