Rezension

Ein Buch der Gegensätze

Anatomie der Wolken - Lea Singer

Anatomie der Wolken
von Lea Singer

Bewertet mit 4 Sternen

~~Klappentext
Der betuchte Frankfurter Großbürgersohn und der Seifensiedersprössling aus Greifswald, der Herr der Sprache und der Maler, der weder richtig reden noch richtig schreiben kann, der diplomatische Minister und der Habenichts ohne Manieren. Doch eines verbindet sie: Beide sind gebannt von der Erkundung der Wolken. Goethe als Forscher, der ein neues Terrain der Wissenschaft erobern möchte, Friedrich als ein Künstler, der in der Natur Gott sucht. Aber als Friedrich eines seiner Gedichte malt, sieht der Geheimrat nur Wolkengebirge, wo er das Klagelied eines Schäfers verdichtet hat. Luise Seidler, eine junge Porträtmalern, die beiden gefällt, arrangiert schließlich ein Treffen zwischen den Künstlern. Was geschieht, wenn zwei so unterschiedliche Charaktere aufeinanderprallen?

„Tja, aber das Romantische ist nun mal das Kranke, sagte Goethe. Das Klassische das Gesunde.“ (Seite 148)

„Vor allem hatten sie keine Ahnung, dass sie sich an Strippen bewegten, die er in der Hand hielt.“ (Seite 102)

Zum Zeitpunkt der Geschichte ist Goethe schon weit über 60. Ein in die Jahre gekommener alter Mann, der an den Folgen von übermäßigen Essen und wenig Bewegung leidet. Beim kleinsten Zipperlein konsultiert er die Ärzte und hält sich ständig in irgendwelchen Kurbädern auf, um zu genesen. Doch eigentlich treibt es ihn nur von seiner Ehefrau weg, die er als Belastung empfindet. Er fühlt sich mehr von den jungen Frauen angezogen. Sein Einfluss und seine Macht in der Gesellschaft sind enorm. Wer etwas werden will, muss erst an ihm vorbei. Somit haben all die, die nicht nach seiner Pfeife tanzen, kaum eine Chance in der Gesellschaft anerkannt zu werden.

Wer brauchte ihn schon? Im Krieg keiner, in der Kunst keiner, in der eigenen Familie keiner, in Dresden keiner.
Friedrich war darauf gekommen, wer ihn brauchte: die Wolken. Die erzählten etwas, das nicht jeder verstand. Hoffnungsgeschichten. Waren jetzt nötig wie Wundärzte und Verbandsmaterial und gutes Essen. Wolken erzählten sich selber. Vom Glück zu wandern. Von Freiheit. Vom Recht auf Freiheit, das jeder hatte. Kam von Gott, nicht von den Menschen, das Recht. Gehörte auch das Recht dazu, nicht gefallen zu wollen aufteufelkommraus. Wolken brachten was sie wollten. Machten nicht auf Schönwetter, weil den Leuten Schönwetter besser passte. Er verstand, was sie erzählten. Er, der dumme Friedrich aus Greifswald.“ (Seite 181)

Friedrich ist das Gegenteil von Goethe. Arm wächst er auf, verliert schon früh die Mutter und sein Vater ist sehr streng. Als Friedrich später das Elternhaus verlässt schlägt er sich mehr schlecht als recht mit seiner Malerei durch. Doch irgendwie ist er glücklich dabei. Dann hat er die Möglichkeit den großen Goethe kennen zu lernen, verbunden mit der Hoffnung, dass dieser ihm zu großen Ruhm verhelfen kann. Doch als Friedrich ein Gedicht von Goethe malen soll, ist Goethe außer sich, als er das Ergebnis sieht.

„Die Seidler schlich sich leise hinten hinaus. Ihr war übler als je zuvor. Jetzt wusste sie wenigstens, warum. Reden hieß die Karriere aufs Spiel setzen. Schwiegen hieß Friedrich verraten.“ (Seite 158)

Zwischen den beiden großen Männern steht Luise Seidler. Sie mag beide Männer sehr. Tendenziell kann sie sich jedoch mehr mit Friedrich identifizieren. Doch schnell wird der Malerin klar, dass sie sich entscheiden muss … wenn sie weiterhin Goethes Gunst haben möchte, muss sie Friedrich verleugnen.

„Wenn Friedrich sich müde gesehen hatte an den Gesichtern der Menschen, verdorben vom Alleshaben, bis zu den Rändern voll mit Unddankbarkeit, dann wandte er seinen Blick zu den Wolken. Musste doch jeden dankbar machen, was die Wolken taten und tun würden in alle Ewigkeit. Regen spenden und Schatten. Der Phantasie neue Bilder schenken und den Gedanken Freiheit.“ (Seite 37)

Mir hat dieses Buch ganz gut gefallen. Der Schreibstil ist etwas gewöhnungsbedürftig, da ich ihn irgendwie als „unrund“ empfand. Manches war etwas zu abgeklärt und die Protagonisten nicht wirklich greifbar.

Goethe ist in meinen Augen und so wie er im Buch dargestellt wird ein selbstverliebter und notgeiler Kotzbrocken. Sorry … aber ehrlich … dieser Mann denkt wahrhaftig die Welt dreht sich nur um ihn. Das was er sagt ist Gesetz. Und somit haben Menschen wie Friedrich kaum eine Chance etwas zu werden. Mir war nie bewusst, welche Macht und welchen Einfluss Goethe hatte. Alle hofieren ihn und verehren ihn. Sicherlich hebt da manch einer bei ab, und wie mir scheint Goethe auch.

Mir ist Friedrich da schon näher. Er ist ein Träumer und Philosoph. Seine Gedanken berühren mein Herz und seine Bilder faszinieren mich. Friedrich ist ein Mensch, der mit dem wenigen was er hat auskommt und dennoch dabei glücklich ist. Er hat Visionen von seinen Bildern und daran hält er sich fest, und lässt sich nicht verbiegen. Er träumt sich ein Leben in den Wolken.

Vielleicht fühle ich mich Friedrich näher, weil auch ich gerne den Wolken zuschaue. Sie lassen mich zur Ruhe kommen, meine Gedanken können sich frei bewegen/ reisen …

Als Kind und auch heute noch, liege ich im Sommer oft auf dem Rücken und schaue in die Wolken … versuche zu erraten was für Wolkengebilde ich sehe …

„Verstand sie das nicht? Horizont war doch mehr als die Linie, die Himmel und Erde schied. Horizont war ein Schlüsselwort. Trennte Diesseits vom Jenseits, Menschliches und Göttliches, Beschränktes und Weises. Das, was er verheiraten wollte in jedem Bild.“ (Seite 32)

Lea Singer war mir bisher als Autorin unbekannt. Sie hat aber schon einige Bücher über große Künstler der Zeitgeschichte geschrieben.

„Anatomie der Wolken“ ist ein Buch der Gegensätze … der „große“ Goethe/ der „unbekannte“ Friedrich … Klassisch/ Romantisch … spannend/ langatmig …