Rezension

Ein Buch der leisen Töne

Violet - Tracy Chevalier

Violet
von Tracy Chevalier

Bewertet mit 5 Sternen

Vom eigenen Mut überrascht

Violet ist eine der vielen "übrig Gebliebenen". Das sind die Frauen die im ersten Weltkrieg ihren Liebsten verloren haben, oder nun keinen Mann mehr finden.
Weil es für diese Frauen einfach zu wenig Männer gibt, hat selbst die englische Regierung ein Wort dafür gefunden: "Frauenüberhang".
Violet hat genug davon, als alleinstehende Frau bei ihrer Mutter zu wohnen und sich von ihr herum kommandieren zu lassen. Ihren ganzen Mut nimmt sie zusammen und zieht ins zwölf Meilen entfernte Winchester, für Violet ein riesiger Schritt in die Unabhängigkeit.

So begleitet man als Leser Violet in ein neues Leben.
Von der Kathedrale in Winchester ist sie gleich ergriffen. Zufällig stolpert sie in eine der Segenungsfeiern, die regelmäßig in der Kathedrale für die neuen Stickarbeiten der Broderinnen-Gruppe abgehalten werden. Tief beeindruckt von den Werken der Frauen, möchte sie selbst auch der Gruppe beitreten.
Es ist nicht nur schön Violet dabei zu erleben wie sie versucht aus ihrem Schneckenhaus herauszukommen. Es gefiel mir auch bei dieser Gelegenheit, den Frauen bei ihren Stickarbeiten über die Schultern zu schauen.
Unter der Leitung von Louise Pesel, die es wirklich gegeben hat, erschaffen die Frauen für die Kathedrale unter anderem wunderschöne Knie- und Sitzkissen. Diese soll man übrigens noch heute in der Kathedrale bewundern können und sie werden angeblich sogar noch benutzt.

Außerdem hat die Autorin ein weiteres interessantes Thema eingebaut, nämlich die Arbeit der Glöckner. Zusammen mit Violet darf man Winchesters Läutestube betreten und den Männern beim Wechselläuten zusehen. In einigen Passagen wird genau erklärt wie so etwas vonstatten geht. Man glaubt gar nicht wie kompliziert das Glockenspiel ist und wie Violet, habe ich auch nicht immer alles genau verstanden. Spannend ist das Thema trotzdem.

Mal abgesehen von den Stickereien und dem Glockenspiel fand ich es unheimlich spannend zu lesen, wie das Leben für die Frau, wenige Jahre nach dem ersten Weltkrieg, so war. Wie sie sich vor dem Familienvorstand rechtfertigen musste. Die schiefen Blicke der Leute wenn die fanden, eine Frau lebe nicht nach den üblichen gesellschaftlichen Regeln. Wie eine verheiratete Frau die ledige Frau plötzlich von oben herab behandelte, obwohl beide vorher Freundinnen waren. Und lauter solcher Details...
Das alles erzählt Tracy Chevalier mit sehr ruhigen Tönen.
Besonders bei den Figuren kommt die Detailverliebtheit der Autorin zum Vorschein. Ob es nun die neugierige Vermieterin ist, die keinen Männerbesuch in ihrem Haus duldet, oder die immer nörgelnde Mutter, die an allem und besonders an Violet ständig etwas auszusetzen findet. Ob es die gemeinen ewig schnatternden Bürokolleginnen sind oder die emsigen, manchmal hinter den Rücken der anderen Frauen tratschenden Stickerinnen. Immer hatte ich die Figuren deutlich vor Augen.

Am Ende hatte ich ein paar Tränchen in den Augen und auch wenn das Jahr gerade erst angefangen hat, und es sich bei dem Buch um einen Roman der besonders leisen Töne handelt, ist es jetzt schon eines meiner Jahres-Highlights. Violet muss man als Romanfigur einfach nur lieben.