Rezension

Ein Buch für alle, die Sprache lieben und sich auf Entschleunigung einlassen können

Die Spuren der Stadt - Lars Saabye Christensen

Die Spuren der Stadt
von Lars Saabye Christensen

Bewertet mit 4 Sternen

Allgemeines:

Lars Saabye Christensen ist einer der bedeutendsten norwegischen Autoren der Gegenwart. Er wurde mehrfach ausgezeichnet u. a. mit dem Norwegischen Literaturpreis und dem Norwegischen Kritikerpreis. Seine Bücher wurden in mehr als 36 Sprachen übersetzt. Die Spuren der Stadt erschien am 02. September 2019 bei btb als gebundenes Buch und umfasst 478 Seiten.

Inhalt:

„Was hören wir, wenn wir der Stadt lauschen? Welche Spuren hinterlässt sie in uns? Wer ist am anderen Ende, wenn wir telefonieren? Kennen wir die, die an der Straßenecke stehen, verzaubert von den Lichtern und Geräuschen der Stadt? Lars Saabye Christensens Roman spielt im Oslo der Nachkriegszeit – er erzählt darin auf berührende, süchtig machende Weise von den Sehnsüchten und Nöten seiner Bewohner, deren Schicksal unauslöschlich mit der Stadt und den Straßen, in denen sie leben, verwoben ist.“ (Quelle: Verlagsgruppe Random House)

Meine Meinung:

Die Spuren der Stadt ist das erste Buch, das ich von Lars Saabye Christensen gelesen habe. Ich bin neugierig geworden, durch das, was in den Pressestimmen und den Kritiken stand.

Eine Warnung vorweg: Es ist nicht einfach, in dieses Buch reinzukommen. Zum einen wird sehr viel Ortskenntnis vorausgesetzt, um dem Prolog wirklich folgen zu können. Zu dem Zweck ist vorne im Buch eine Karte eingefügt, die aber dermaßen kleingedruckt ist, dass man sehr suchen muss, das frustriert. Zum anderen verwirrt der Prolog inhaltlich sehr, da man mit einem Protagonisten konfrontiert wird, der im ersten Kapitel sehr viel jünger ist als im Prolog, obwohl dieser zeitlich vorher angesiedelt zu sein scheint. Nun ja, wenn man genau liest und hin und her blättert, klärt sich alles und man merkt viele, viele Seiten später, dass der Prolog acht Jahre nach der eigentlichen Handlung des Buches ansetzt. Eine unnötige Erschwernis für den Leser.

Aber: Nach all der Mühe am Anfang wird man fürs Durchhalten belohnt!

Die Spuren der Stadt ist wirklich ein ganz besonderes Buch, je länger ich lese, desto besser kann ich verstehen, was die Kritiker an Christensen so schätzen. Es ist sein aus meiner Sicht emotionsloser Stil, der durch genaue Beobachtung und Beschreibung von Protagonisten und deren Handlungen zu einer sehr berührenden Erzählweise wird. Er nimmt sich seiner Personen an und geht behutsam mit ihnen um. Im Zentrum des Buches steht der Junge Jesper, der ein wenig „besonders“ ist, wie die Leute so sagen. Auch seine Eltern sind dieser Meinung und wissen nicht wirklich, wie sie mit ihrem Sohn umgehen sollen. Um Jesper herum gibt es eine Nachbarin, Frau Vik und ihren Verehrer Olaf Hall, den Arzt Doktor Lund und dessen Frau sowie die Damen des Roten Kreuzes, die allerdings nur in gesonderten Teilen der Kapitel auftreten.

Oslo in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg steht im Fokus der Handlungen. Man merkt an allen Ecken und Kanten die Auswirkungen des Krieges auf den Alltag der Menschen. Viele haben Angehörige verloren, es herrscht teilweise noch große Armut, das Leben nimmt nur langsam an Fahrt auf. Auch erste patriotische Stimmen werden wieder laut. Majbrit, Jespers Mutter, spielt ebenfalls eine zentrale Rolle in diesem Buch. Sie ist sehr selbstbewusst und setzt sich sehr für das Allgemeinwohl ein. Ihr Ehemann Ewald versucht stets sein Bestes zu geben, aber so richtig will ihm das nicht gelingen. Er trägt seine eigene Tragödie vor sich her.

Man erfährt eine ganze Menge über die alltäglichen Tagesabläufe der Menschen. Christensen lässt den Leser in ihren Kopf und ihre Handlungen schauen. Manchmal ist das mühsam, da er wirklich sehr detailliert beschreibt und lange verweilt an Schauplätzen und Begebenheiten.

Die Spuren der Stadt sind in jedem Protagonisten zu finden, sie alle haben ihre Orte, die sie lieben oder meiden, an denen sie Ruhe finden oder rastlos vorbeiziehen. Dennoch ist dieses Buch kein typischer „Stadtroman“. Hier wird versucht, die Stimmung in Zeiten des Friedens einzufangen und es wird deutlich, dass man dennoch immer wieder zurückblickt, dass es kein makelloses Leben gibt. Literarisch anspruchsvoll ist dieses Buch, es gibt keinen aufregenden Plot, sondern viele kleine Begebenheiten, die das große Ganze ausmachen.

So ganz nebenbei erfährt man zudem eine Menge über die Tätigkeiten des Roten Kreuzes. Die stets kursiv abgesetzten Passagen bilden sozusagen eine Art Rahmen um die eigentliche Handlung.

Fazit:

Ein Buch für alle, die Sprache lieben und sich auf Entschleunigung einlassen können. Man braucht Zeit und Muße, wenn man dieses Buch genießen will.