Rezension

Ein Buch für einen schönen Lesenachmittag

Das Glück meiner Mutter -

Das Glück meiner Mutter
von Thommie Bayer

Bewertet mit 3.5 Sternen

Inhaltlich nichts Neues - aber schöner Sprachstil

Lebenskrisen. Sinnfragen. Ziehen mich in ihren Bann. Ich greife gern zu reduzierten Büchern, wie diesem hier, von 24 Talern in einer Buchkette auf 6.99 € heruntergesetzt. Die Autorenvita klingt vielversprechend: 'Thommie Bayer, 1953 geboren, gehört zu den arriviviertesten [was für ein Fremdwort mit lat./italien. Wurzeln arrivare ['ankommen']] der deutschen Literatur und hat sich mit seinen zahlreichen Romanen und Erzählungen eine große Leserschaft ERschrieben'.

Die Story beginnt mit dem 14jährigen Protagonisten, dessen Mutter nach Italien ziehen will, dessen er sich aber verweigert. Die Ehe zwischen den Eltern scheint bankrott. Im ersten Kapitel ist die Mutter bereits drei Jahre lang tot. Es ist 35 Jahre später in der Zeit, der Protagonist ist inzwischen 49 Jahre alt und reist in die Toskana. Eine Auszeit. Eine Reise in die Vergangenheit. Zeitmaschine. Sich immer noch schämend, dass er mit seiner Mutter nicht in die Toskana zog. Seine Beziehung mit Bettina ist inzwischen seit zwei Jahren beendet. In Italien angekommen trifft er zufällig auf seine Nachbarin und Vermietern Livia, die des nachts in 'seinem' Pool badet. Sie fühlen sich gleich miteinander verbunden, schütten sich gegenseitig ihr Herz aus, psychologisieren und tauchen gemeinsam in ihre Vergangenheit ab 'Wie warst du als Kind?'. Irgendwann sehen sie sich gezwungen, vor dem eifersüchtigen Ehemann Livias, Giancarlo, nach Pisa zu fliehen: 'Dass sich diese kleine Auszeit so abenteuerlich entwickeln würde, hätte ich nicht mehr für möglich gehalten. Ich bin in dem Alter, in dem alles glattläuft (189)'. Das Ende ist überraschend. Will hier nicht spoilern. Konstruiert? Es könnte sich durchaus so zutragen, der Kreis schließt sich, ein Aha-Erlebnis.

Der Roman lässt sich sehr gut in einem Rutsch, an einem Nachmittag durchlesen. Der Sprachstil ist gehoben, verständlich und schön 'Ein Amselmännchen gab sein Bestes, um von einer stummen Zuhörerin in Betracht gezogen zu werden (...)(35)'. Kleiner Kritikpunkt: Italienische Dialoge werden teilweise nicht übersetzt. Für mich kein Problem, bin der Sprache mächtig, doch der ein oder andere nicht italophile Leser würde sich ggf. über eine übersetzende Fußnote freuen.

Themen: Familie, Mutterliebe, Mutter-Sohn-Beziehung, Kindheit, Jugend, verblichene Träume, Reife, Selbsterkenntnis ('Dieser veränderte Blick war sicher eine Art Gewinn für meinen Geist, aber ein trauriger, wie immer, wenn eine Illusion sich in Luft auflöst und man sich klüger, aber ärmer fühlt (53)', alleinerziehend, vaterlos ('Erst nach seinem Tod begann ich darüber nachzudenken, welche Mühe es ihn gekostet haben musste, mir nicht seinerseits Vorwürfe zu machen, dass ich nicht bereit war, irgendetwas in diese Leere zwischen uns zu lassen, ein Wort, eine Frage, ein Zeichen von Zuneigung (78)', Beziehungen, Trennungen, Liebe (auch zum eigenen Auto, der Protagonist spricht mit seinem 'Joe'), Tod, Schicksal, Zufall, Wurzeln, Lebens-,Sinnkrise, Verantwortung, Schuld. Das Buch bietet inhaltlich irgendwie nichts Neues, bereitet aber einen schönen Lese-Nachmittag.