Rezension

Ein Buch für Geisterbegeisterte und Neueinseiger dieses Genres

Der 13. Gast - Rhiannon Lassiter

Der 13. Gast
von Rhiannon Lassiter

Bewertet mit 4.5 Sternen

Story und Charaktere:

Eva kann es nicht fassen. Nur weil man keine 13 Gedecke an einem Tisch decken soll, wird für sie an ihrem 16. Geburtstag nicht mit eingedeckt. Dass ihre Verwandtschaft sie übersieht, damit kann sie leben, schließlich war sie schon immer das schwarze Schaf in der Familie. Aber dann auch noch vom Personal ignoriert zu werden – das darf doch nicht wahr sein.
Eine Kellnerin jedoch scheint Eva sehr wohl zu bemerken und zwinkert ihr zu. Dumm nur, dass diese Kellnerin ein Geist ist. Schon bald muss auch Eva feststellen, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Sie ist ebenfalls ein Geist, kann sich aber nicht an ihren Tod erinnern. Als auf dem Anwesen ihres Großvaters, auf dem auch sie lebt, immer seltsamere Vorfälle geschehen, glaubt sie langsam, dass sie keines natürlichen Todes gestorben ist.
Während ihre Verwandten versuchen, aus dem herrschaftlichen, heruntergekommenen Anwesen Profit zu schlagen, indem sie anfangen Geistertouren zu organisieren, versucht Eva der Sache auf den Grund zu gehen. Schon bald stehen ihr zwei Menschen zur Seite, mit deren Hilfe sie zu Lebzeiten nie gerechnet hätte. Was sie in der kommenden Zeit herausfinden, lässt sich nur langsam zu einem vollständigen Bild zusammensetzen. Nichts ist, wie es zu sein scheint.

Eva, Kurzform für Evangeline, ist als uneheliche Tochter einer Frau aus dem Hause Chance geboren worden und direkt am Tag ihrer Geburt Waise geworden. Ihre Mutter brachte sich um und Eva wurde in einem kleinen Weidenkorb auf dem See treibend gefunden. Da niemand ihren Vater kennt und sie zudem unehelich geboren wurde, wird sie von allen aus ihrer Familie, außer ihrem Großvater, mit Missachtung gestraft und wie Luft behandelt. Auch von ihren Mitschülern wird sie seit jeher als seltsam, geradezu komisch empfunden, was sie zu einer Außenseiterin macht, die keine Ahnung hat, wie sie sich zur Wehr setzen soll.
Zusammen mit ihrem Großvater, der sie nach ihrer Geburt vor dem Waisenhaus bewahrt hat, obwohl alle dagegen waren, lebt sie auf einem herrschaftlichen Anwesen, das bereits über Generationen in Familienbesitz ist. Leider jedoch ist das Herrenhaus mittlerweile sehr heruntergekommen, da die finanziellen Mittel fehlen. Eva gibt sich zwar alle Mühe das Haus für sich und ihren Großvater bewohnbar zu halten, aber wirklich gelingen tut es ihr nicht. Schon zu Lebzeiten konnte Eva Geister sehen und spüren, hat sich aber nie weiter damit auseinandergesetzt. Einzig dem Blutfleck vor der Treppe hat sie Beachtung geschenkt – löst dieser bei Berührung doch immer Schritte im Haus aus. Jetzt, als Geist, weiß sie, dass sie damit den bösartigsten Geist des Hauses anlockt – den Stalker.
Eva will ihren Tod nicht einfach hinnehmen. Noch weniger jedoch will sie, dass ihre Familie ein Geisterhaus aus ihrem Zuhause macht, um das Haus vor dem Ruin zu bewahren. Zusammen mit dem Geistermädchen Elsie findet sie Unglaubliches über das Haus und die Geister, die es bewohnen, heraus.
Während der ganzen Zeit durchläuft sie eine unglaubliche Entwicklung. Vom schüchternen Niemand ohne Selbstachtung, entwickelt sie sich zu einer selbstbewussten jungen Frau mit viel Humor. Es hat Spaß gemacht ihr dabei zuzusehen, wie sie in ihrem „neuen Leben“ all das aufholt, was sie ihrem alten verpasst hat.

Kyra und Kyle gehören zu denjenigen, die als Angestellte auf dem Sitz der Chances arbeiten. Sie sind Zwillinge und Kyra nimmt jeden ihr sich bietenden Job an, um sich ihren größten Wunsch zu erfüllen. In ihrer Zukunft sieht sie sich als Bankerin in London und braucht jeden Cent, um sich später das Leben dort leisten zu können. Dies ist ein sehr vorbildlicher Zug an ihr, der allerdings nicht wettmachen kann, dass Eva auch deshalb zur Außenseiterin wurde, weil Kyra zu denjenigen gehörte, die das junge Mädchen ausgestoßen und gemobbt haben. Als ihr Bruder Kyle Eva kennenlernt, weil er ihre halbtote Tante gefunden hat, und anschließend herausfindet, dass er es mit einem Geist zu tun hat, ändern sich die Dinge. Kyle möchte Eva helfen. Kyra ist davon zunächst nicht begeistert, schon gar nicht, als Evas Cousin Felix ihren Bruder darum bittet, Evas Leiche zu suchen, doch am Ende schlägt auch sie sich auf die hilfsbereite Seite. Dabei lernt vor allem Kyra, dass ihr Handeln zu Evas Lebzeiten auf Vorurteilen beruhte, die sie nie hinterfragt hat. Getrieben vom schlechten Gewissen Eva gegenüber und weil sie Felix toll findet, stürzt sie sich mich in den Fall rund um die Familie Chance.
Kyle ist derjenige, dessen emotionale Seite man als Leser am besten kennenlernt. Er ist groß und gut gebaut, sodass man ihm eher den Macho zutrauen würde. Hinter seinem Aussehen verbirgt sich allerdings ein weiches Herz, das langsam aber sicher für Eva zu schlagen beginnt.

Felix ist Evas großkotziger Cousin, der einmal das Haus ihres Großvaters erben soll. Er stolziert herum, sodass Eva ihn immer weniger leiden kann. Als er jedoch unter Mordverdacht gerät, versucht er einen kühlen Kopf zu bewahren und benimmt sich plötzlich sehr normal. Er holt Kyra ins Boot und auch Kyle ist irgendwann auf seiner Seite. Zusammen wollen sie nun nicht mehr nur das Verschwinden von Eva aufklären, sondern auch beweisen, dass Felix nichts mit all den Vorfällen zu tun hat, die das Chance-Haus plötzlich heimsuchen.

Elsie ist ein Geist, der schon seit langer Zeit im Haus der Chances spukt. Sie ist Evas Leitlinie, die sie, wenn auch wiederwillig, ins Geistsein einführt. Wie weit man ihr allerdings trauen kann, weiß Eva nicht genau, verbirgt sich hinter Elsies Leben doch ein dunkles Geheimnis, dass sie auch als Geist noch sehr rachsüchtig macht.

Alle übrigen Charaktere sind ebenfalls gut umrissen worden. Man bekommt einen sehr guten Eindruck von Evas Familie und den Dingen die sie denken. Ganz klar ist, dass sie Eva nicht als vollwertiges Mitglied ihrer Familie sehen und deshalb auch keinen unnützen Gedanken an sie verschwenden. Im Vordergrund stehen Reichtum, Geld und Macht, aber kein verschwundenes Mädchen, dessen Leiche bisher nicht gefunden wurde.

Was mir besonders gefallen hat: 

Mir hat besonders die Mischung dieses Buches gefallen, die am Ende ein ganz anderes Buch für mich bereitgehalten hat, als ich anfangs erwartet habe. Ich hatte mit einem nervenaufreibenden Gruselroman gerechnet, der sich auch ausschließlich um dieses Thema dreht. Bekommen habe ich jedoch einen Mix aus Kriminalroman, Drama und Geisterhausklischee. Dabei steht vor allem der kriminalistische Teil im Vordergrund, der von Geistern umrahmt wird.

Der lockere und flüssige Schreibstil ließ sich sehr gut lesen und wurde vom tollen Sprachstil der Autorin unterstützt. Sehr bildhaft wird hier das schauerliche, verwinkelte, fast schon labyrinthartige Haus beschrieben, um das sich alles dreht. Hier und da bekommt man eine regelrechte Gänsehaut, nur weil man sich beim Lesen vorstellt, selbst in einem dieser ganzen seltsamen Räume zu stehen – mit all den Geheimnissen, die zum Beispiel hinter verborgenen Türen nur darauf warten, gelüftet zu werden. Spannung ist auf jeden Fall auf jeder Seite vorhanden, muss man doch bis zum Schluss warten, bis sich alles aufklärt. Man selbst ist immer auf Augenhöhe mit den Hauptcharakteren, sodass man nichts anderes tun kann, als ihre Vermutungen zu teilen oder eigene anzustellen. Mir hat sich bis zum Schluss nicht erschlossen wer hinter der ganzen Geschichte steckt. Ich war ehrlich überrascht und das macht für mich schon einen guten Krimi aus. Am Ende ist alles anders, als es zu sein schien.

Auch die einzelnen Charaktere gefielen mir sehr gut. Die Hauptcharaktere haben sich während des Buches entwickelt, haben dazugelernt und sind reifer geworden. Sie lernen mit Problemen des alltäglichen Lebens umzugehen, sich ihnen zu stellen und sie zu lösen. Über das ein oder andere Problem wird man sicher selbst noch stolpern, sodass alles sehr realitätsnah ist.

Die Geister in diesem Buch sind eine ganz eigene Sache. Natürlich finden sich gängige Klischees wieder, die man aus hundert anderen Büchern und Filmen kennt, doch ist am Ende alles etwas ganz Eigenes. Die Geister des Chance-Hauses erhalten alle ihre eigene Geschichte und bekommen dadurch ihren eigenen Wert, der über den eines einfachen Geistes hinausgeht. Längst Vergangenes, längst verloschene Leben werden hier noch einmal in die Gegenwart geholt, um zu zeigen, wie ein Haus seine Seele erhält. Das ist bei weitem nicht die reinste und glücklichste Seele, sondern eher eine dunkle und schwarze, doch das ist eher einer ungeheurlichen Tatsache geschuldet, die sich im Keller verbirgt und die dafür sorgt, dass der Fluch der Chances überhaupt eine Chance hat. Als die Geister aufgerüttelt werden, weil einige Verwandte von Eva plötzlich massenweise Touristen durchs Haus führen, geht es ganz schön drunter und drüber. Ein Unfall jagt den nächsten und dabei erwischt es nicht immer nur die Chances selbst. Ein Junge verschwindet, eine Frau stürzt von der Ballustrade... Hier sind dunkle Mächte am Werk, die dem menschlichen Täter mit ihren kleinen Tricks in die Hände spielen.

Durch das ganze Buch ziehen sich verschiedene Aspekte der Familie Chance. Die einzelnen Mitglieder und ihre Vorfahren stehen im Vordergrund des Ganzen. Ihr Verhalten, ihr Leben und ihre Denkweisen dringen zu kleinen Teilen zum Leser durch, der schon bald merkt: Hier werden Intrigen der besonderen Art gesponnen. Alles in allem liefert dieses Buch also einen Mix, der hoffentlich noch viele Leser in den Bann ziehen wird.

Zusatz Altersempfehlung:

Die Altersempfehlung dieses Buches liegt zwischen 12 und 16 Jahren. Ich selbst würde es bei etwa 14 Jahren einordnen, da einige Passagen doch recht verstörend sein können. Vor allem aber empfehle ich dieses Buch an Menschen, die noch neu im Geistergenre sind und mit „leichter Lektüre“ beginnen wollen. Für Einsteiger in dieses Genre empfinde ich dieses Buch durch seinen speziellen Mix sehr geeignet.

Was mir nicht so gut gefallen hat:

Ganz ehrlich, ich bin absoluter Fan von Geisterhausgeschichten. Was Geister für mich so gruselig macht ist, dass sie nicht materiell sind, dass man sie nicht anfassen kann und dass sie eben einfach Geister sind. In diesem Buch fand ich die Darstellung von Evas Geist hier und da dadurch etwas unglaubwürdig, dass sie tatsächlich wie eine reale Person dargestellt wurde. Sie kann mühelos Dinge bewegen, Menschen anfassen etc. Auch ist sie klar und deutlich als Person erkennbar, wenn sie jemand sieht. Ich hätte mir eine etwas geisterhaftere Darstellung gewünscht, die das Ganze für mich etwas glaubhafter gemacht hätte. Das ist aber auch der einzige Kritikpunkt an das Buch, das mir insgesamt sehr gut gefallen hat.

Gestaltung:

Eine weiße Gestalt wandert den Weg vor einem Tor entlang. Im Hintergrund fliegen einige Vögel am Himmel, umrahmt wird das ganze von einigen Ranken, an denen Totenköpfe und ein Schlüssel hängen. Alles ist in verschiedenen Blautönen gehalten, nur die Zahl 13 im Titel wurde rot hervorgehoben. Dieses Cover passt wunderbar zum Inhalt der Geschichte und macht schon neugierig, bevor man die erste Seite aufgeschlagen hat.
Im Inneren wiederholen sich Ausschnitte der Ranke jeweils unten auf den Seiten, was mir ebenfalls sehr gefallen hat.

Wertung:

Dieses Buch hält einen so großartigen Mix bereit, dass ich am liebsten gleich noch ein Buch dieser Art lesen würde. Eva und ihre Freunde haben mich sehr gut unterhalten und ich hatte eine spannende Lesezeit. Abzüglich meines kleinen Kritikpunktes vergebe ich gerne 4,5 Lila-Lesesterne an dieses Buch und eine ganz klare Leseempfehlung.