Rezension

Ein Buch über die Magie der Worte

Die Sammlerin der verlorenen Wörter -

Die Sammlerin der verlorenen Wörter
von Pip Williams

Bewertet mit 5 Sternen

Zum Inhalt
Die kleine Esme ist im Februar 1886 erst sechs Jahre alt. Ihre Mutter Lily ist bei ihrer Geburt gestorben. Esmes Vater ist Lexikograph. Er arbeitet für Dr. Murray im Scriptorium an der ersten Auflage des Oxford English Dictionary. Das Scrippy ist eigentlich nur ein Schuppen im Garten hinterm Haus Sunnyside der Murrays. Aber für Esme ist es ein magischer Ort. Wenn Esme nicht unterm Tisch ihres Vaters im Scrippy spielt, kümmert sich Lizzie um sie. Das Dienstmädchen der Murrays. Mit ihren dreizehn Jahren ist Lizzie selbst noch ein Kind.
Eines Abends sortiert Esmes Vater den Namen Lily aus. Denn für Lily wird es keinen Eintrag im Wörterbuch geben. So wirft er den Zettel mit Lily in den Kamin. Als Esme versucht den Namen ihrer Mutter vor den Flammen zu retten, verbrennt sie sich die Finger. Obwohl ihr Vater sie vom Kamin wegreisst und ihre Hand draußen in den Schnee steckt, ist Esmes Hand verbrannt. In der Schule wird Esme wegen ihrer komischen Finger gehänselt. Und auch später noch, als sie längst zu einer junge Frau geworden ist, gibt sie anderen nur ungern die Hand.

Meine Meinung
Das Buch beginnt im Februar 1886 und endet mit dem Epilog in 1989. In sechs Teilen deckt es den Zeitraum von 1887 - 1928 (mit einer Pause von 1916 - 1927) ab.
Mich hat überrascht, wie das Hauptgewicht des Buchs auf der Entstehung des Oxford English Dictionary und den einzelnen Belegkarten liegt. So diskutieren Dr. Murray und seine Kollegen in der Arbeit am Oxford English Dictionary z.B. über die Schreibweise von forgo, korrigieren Druckfahnen im Scrippy. Auch die Arbeit der Setzer in der Druckerei wird von Esme auf ihren späteren Botengängen für Dr. Murray beobachtet.
Dabei ist ein Belegzettel eigentlich nur ein Stück Papier in einem von Dr. Murray vorgegebenen Format. Auf eine Belegkarte werden nur ein Wort und ein Zitat (inkl. Angabe der Quelle) geschrieben. Das Zitat belegt die Verwendung des Wortes. Doch für Esme sind diese Belegzettel ein Schatz, dessen Hüterin sie sein möchte. Und jedes neue Wort, das Esme entdeckt, ist für sie besonders. Als Kind beginnt sie mit einfachen Worten (z.B. "count" halten für, "appease" besänftigen). Aber mit Esmes wachsendem sprachlichen Talent werden auch die Worte und Zitate des Buchs schwieriger (z.B. "knackered" erledigt, "madcap" Hitzkopf).

Mein Fazit
Das Buch vermittelt Freude an der Schönheit der Sprache und Neugier auf noch unbekannte Worte. Esmes Begeisterung, die als Kind von der Arbeit ihres Vaters geweckt wurde, ist ansteckend. In wunderschönen Beschreibungen lässt Pip Williams Esmes im Scriptorium verlebte Kindheit zu einem magischen Ort werden. Sie ließ mich dessen Wunder durch Kinderaugen sehen.
Esme hatte schon in jungen Jahren schlimme Zeiten. Aber das wird im Buch eher ausgespart. So wird nur von ihren Monaten im Internat in Schottland im davor und danach berichtet. Das Hauptgewicht liegt gerade in der ersten Hälfte des Buchs auf den Worten der Belegzettel und der Arbeit am Oxford English Dictionary. Erst in der zweiten Hälfte werden die Bewegung für das Frauenwahlrecht und der erste Weltkrieg wichtig. Dazu gibt es im Anhang eine Zeitleiste zum Oxford English Dictionary und zu den anderen historischen Ereignissen, die im Buch eintreten.
Auch in der deutschen Fassung des Buches wurde vieles auf Englisch belassen. Dies gilt für jeden Belegzettel. Also für alle Worte von Bedeutung und Zitate, die deren Verwendung belegen. Da wurde nur eine deutsche Übersetzung angefügt. Das finde ich gut so. Das eigene Englisch sollte dafür aber nicht zu schlecht sein. Wenn man nur die deutsche Übersetzung liest, geht schon was verloren. Und dieses Buch will doch gerade von der Schönheit der englischen Sprache erzählen. Und von der Magie der Worte. Ob bei Dickens oder in den Flüchen des schnitzenden Martweibs Mabel.