Rezension

Ein Buch über große Gefühle

All die verdammt perfekten Tage
von Jennifer Niven

Inhalt:

Theodore Finch will sterben. Sein Leben ist von einer unsäglichen Leere durchzogen. Nachts findet er kaum Schlaf. Er steht hinter der Brüstung des Schulturms, als er plötzlich auf ein Mädchen neben sich aufmerksam wird.
Violet heißt das Mädchen, dem er nun das Leben retten und mit dem er unbedingt das Schulprojekt bestreiten möchte, bei dem es darum geht besondere Orte in der Umgebung zu erkunden und etwas von diesen Orten mitzunehmen; viel wichtiger jedoch etwas von sich dort zulassen.

Die beiden Jugendlichen kommen sich näher. Finch lernt zu begreifen, was es heißt wirklich „wach“ zu sein. Und Violet?! - Sie bricht aus ihrem behüteten Leben aus, welches gezeichnet von dem Tod ihrer Schwester, sehr eingeschränkt ist.

 

Wichtigste Charaktere:

Theodore Finch ist ein ganz besonderer Mensch. Er sammelt Wortfetzen, die er auf kleine Klebezettel notiert und an einer Wand in seinem Schrank aufhebt. Überhaupt ist sein Kleiderschrank seine kleine Höhle, in der er es sich gemütlich gemacht hat.
Seine Familie ist zerrüttet. Der Vater hat ihn und die Mutter geschlagen, bevor er sich eine neue Familie gesucht hat, mit der er nun ein scheinbar perfektes Leben führt. Die Mutter ist mit der Situation als Alleinerzieherin maßlos überfordert. In der Schule wird Theodore nur als der „Freak“ abgetan, weil er Dinge macht, die seltsam sind, wie zum Beispiel eine Trauerfeier für die zu sezierenden Frösche aus dem Biologieunterricht abzuhalten.

Violet ist in der Schule beliebt. Vor einiger Zeit ist ihre Schwester bei einem Autounfall gestorben. Violet leidet sehr unter diesem Vorfall. Weder traut sie sich ein Auto zu besteigen noch im Leben Vertrauen zu fassen. Bei der kleinsten Herausforderung des Lebens versteckt sie sich. Violets Umfeld reagiert mit Rücksichtnahme und Verständnis. Nicht jedoch Finch. Finch provoziert, treibt das Leben an und zieht Violet einfach mit sich.

 

Schreibstil:

Mit Violet und Finch schafft Jennifer Niven zwei völlig unterschiedliche Charaktere. Theodore kommt aus sich heraus. Er will gesehen werden, er fordert etwas vom Leben, was es ihm so einfach nicht gibt. Er macht verrückte Sachen; provoziert. So wirft er einen Tisch im Klassenzimmer gegen die Wand, weil ihn die Wut übermannt hat, er steigt auf den Schulturm, um sich für den Hauch eines Moments lebendig zu fühlen. Doch sein Umfeld zuckt nur mit den Schultern. Der Junge ist halt verrückt.

Violet hingegen versteckt sich hinter ihren Gefühlen. Die Eltern geben ihr Bestes, um dem Mädchen gerecht zu werden. Wenn sie sagt, dass ihr etwas zu viel wird, dann wird sie von dieser Aufgabe befreit.
Als Violet mit Finch auf dem Schulturm steht, ist es das Mädchen, um das sich die Leute Sorgen machen und die plötzlich im Mittelpunkt steht.

Die Autorin führt die beiden vom Lebensumfeld zwar ungleichen, vom Charakter aber gar nicht so unterschiedlichen Menschen zusammen. Finch, der etwas vom Leben erwartet, treibt Violet an. Er holt sie aus ihrem „Schneckenhaus“. Zusammen erleben die beiden Jugendlichen ihre Gegend neu, sie schaffen sich kleine Abenteuer und merken irgendwann, was der jeweils andere für ihr eigenes Leben bedeutet.
Die Liebesgeschichte, wirkt glaubhaft, weil sie tragisch-gut gemacht ist. Zwei Menschen, die sich gefunden haben.

Der Schreibstil der Autorin wirkt durchaus flüssig. Jedoch spielt sich ein Großteil des Buches mit den Erlebnissen und kleinen schönen Momenten der Protagonisten ab. Ihr gelingt ein intensiv emotionales, dabei sehr einfaches Bild ihrer Protagonisten.

Als Leser versucht man vielleicht zu begreifen, was Theodore bewegt, warum er fühlt, was er eben fühlt. Die Autorin verzichtet darauf, die emotionale Ausnahmesituation ihres Protagonisten explizit zu erklären. Es gelingt ihr vielmehr und das ist eine Kunst - Leben und Tat emotional nachvollziehbar zu machen.
Erst zum Ende hin wird eine ziemlich direkte Botschaft ausgesprochen. Man begreift als Leser, was Theodore und Violet füreinander waren.

Ein Nachwort der Autorin sorgt dafür, den Kontext der Geschichte noch ein wenig näher zu bringen. Gerade dieses Nachwort bewegt zum Abschluss noch einmal sehr.

 

Fazit:

Die Geschichte von Violet und Finch zeigt auf, was es bedeuten kann, wenn man im Leben auf einen Menschen trifft, der einen bestimmten Schalter bei einem umlegen kann, der einem etwas gibt, wozu andere nicht in der Lage sind.

Der Anfang des Buches wirkt dadurch, dass er sich auf die Erlebnisse der beiden Jugendlichen bezieht und die Thematik sachte angeht, zwar schön, aber nicht zu genüge fesselnd.

Das Ende des Buches entfesselt dann sehr starke Gefühle beim Leser. Man begreift, was die Geschichte den Protagonisten bedeutet hat. Das Nachwort der Autorin spricht mit eigenen Erfahrungen an. Es rüttelt einen wach und weckt das Verständnis für Menschen, die sich anders fühlen.

 

Buchzitate:

Er spielt Gitarre – in fünf oder sechs verschiedenen Bands -, und letztes Jahr hat er eine CD aufgenommen. Aber er ist irgendwie … extrem. Da war zum Beispiel dieser Tag, als er von Kopf bis Fuß rot angemalt in die Schule kam. Den einen sagte er, er protestiere damit gegen Rassismus, den anderen, gegen den Verzehr von Fleisch.

Seit ich mit dem Schreiben aufgehört habe, lese ich noch mehr als früher. Die Worte anderer Menschen, nicht meine eigenen. Meine Worte sind fort.

Ich sage nichts, weil auch ich früher Worte liebte. Ich liebte sie und konnte mit ihnen jonglieren. Weil das so war, hatte ich das Gefühl, die besten von ihnen beschützen zu müssen.

„Es war doch bloß ein Lächeln.“ - „Für dich vielleicht.“

Alle Leute tippen dich hin und wieder sanft an, aber nie fest genug, weil sie die arme Violet bloß nicht aufregen wollen. Du musst gestoßen werden, nicht angetippt.