Rezension

Ein Buch voller Fragen

Ein Jahr voller Wunder - Karen Thompson Walker

Ein Jahr voller Wunder
von Karen Thompson Walker

Cover:
Das Cover ist wirklich sehr schön und greift einen Moment aus dem Buch auf, den man sich dadurch besser vorstellen kann.

Meinung:
Ich habe ein großes Problem mit diesem Buch, wodurch ich beim Lesen mehrmals irritiert war und auch denke, dass das der Grund ist, dass es mich nicht überzeugen konnte.
Die Welt ist aus den Fugen, da die Erddrehung sich verlangsamt. Dadurch entstehen ungeahnte Folgen, wie zum Beispiel die Auswirkungen der Schwerkraft, die sich verändern und physische Gesetze werden außer Kraft gesetzt. Die Bevölkerung ist im Ausnahmezustand und Julia weiß nicht, was sie machen soll. Ihren Vater davon abhalten, mit ihrer Klavierlehrerin durchzubrennen? Ihre Mutter beruhigen, die Hamstereinkäufe tätigt? Oder sich lieber dem geheimnisvollen Seth widmen, weil sowieso alles irgendwann so wird wie vorher?
Alles spricht in diesem Buch für das Genre Dystopie. Es wird sehr genau und sehr detailliert beschrieben, was passiert, wenn die Erde sich langsamer dreht. Die Details erschienen mir sehr genau recherchiert und ich habe Einiges dazulernen können. Die weitreichenden Auswirkungen sind irgendwo logisch, aber doch sehr erschreckend, wenn man das mal so explizit ausdrückt, wie Karen Thompson Walker es getan hat. Immer wieder wurde Bezug auf dieses Ereignis genommen, was den Lebensrhythmus der Menschen verändert. Wenn man sich vorstellt, dass Tage plötzlich über 40 Stunden dauern, die Sonne stärker scheint als vorher, die Nächte dagegen Polarkälte erreichen und man bei Tageslicht schlafen gehen muss, ist das schon gruselig.
Dann ist aber da die zwischenmenschliche Beziehungsbasis. Julia und ihre Eltern. Julia und ihre Freunde. Julia und Seth. Hier spricht alles für eine Coming of Age Geschichte, in der Julia sich findet, ihren Platz innerhalb des sozialen Gefüges finden muss und gleichzeitig ist es auch eine Selbstfindungsgeschichte, für die die dystopischen Elemente mehr als egal sind.
Ich weiß nicht warum, aber eines dieser Dinge erschien mir immer unwichtig. Wurde von der Verlangsamung berichtet, erschienen mir Julias Probleme zu banal, zu unwichtig für einen dystopischen Roman. Wurde von Julias sozialem Leben berichtet, waren mir die dystopischen Elemente egal, weil diese Handlung überall hätte stattfinden können. Das irritierte mich zunehmend und ich kann mich bis jetzt nicht entscheiden, welches Genre dem Buch zuzuordnen ist.
Was mich aber am meisten gestört hat, war die Erzählweise. Das, was wir lesen, wird rückblickend erzählt. Durch anstrengende Einschübe wie „Damals wussten wir es nicht besser“, „Niemand hätte damals etwas dagegen tun können“, „Früher war es so und so“, hatte man immer das Gefühl, man springt automatisch in eine Distanz dem Erzählten gegenüber. Ich war gar nicht richtig in der Handlung drin, weil ich alles wie einen Rückblick betrachtet habe, der mich in dem Moment des Lesens nicht betrifft. Das erhöhte die Problematik in Bezug auf das Genre.
Die Figuren sind allesamt lieblos gezeichnet. Es gab niemanden, den ich auch nur ansatzweise sympathisch fand. Julias Teenie-Probleme erschienen mir im Anbetracht des Untergangs der Welt viel zu lächerlich (sie hat keine Brüste und weiß nicht, ob sie sich einen BH kaufen soll und leidet darunter, dass sie keine Freunde hat und ist unsicher, wie sie Seth ansprechen soll). Ihre Mutter ist eine egozentrische Frau, die sie nur herumkommandiert und sie kleinhält wie eine 3-Jährige. Ihr Vater lügt sich durch die Weltgeschichte und fängt mit der Klavierlehrerin was an. Sorry, aber keine Person konnte ich auch nur ansatzweise ins Herz schließen, wodurch die Distanz zum Geschehen wuchs.
Den Titel verstehe ich absolut nicht. In dem Buch geht die Welt unter und das soll ein Jahr voller Wunder sein? Zwischenmenschliche Wunder habe ich nicht wirklich bemerkt, aber vielleicht hat mir hier auch die Menschlichkeit der Figuren gefehlt…
 

Fazit:
Leider kein so wunderbares Buch. Es wird zusammengeschustert von vielen Ideen, die alle nicht zusammenpassen. Die Personen sind allesamt lieblos und handeln bei dem Geschehen sehr naiv. Die Verlangsamung der Welt und die damit verbundenen Konsequenzen werden jedoch sehr, sehr gut beschrieben und wirkten super recherchiert, wodurch ich Einiges über physische Gesetze hinzulernen konnte. Die Erzählweise macht das Buch jedoch sehr distanziert und die Einordnung in ein Genre fällt mir sehr schwer, wodurch ich während des Lesens ständig irritiert war, weil nichts zusammenzupassen schien.