Rezension

Ein Buch voller provozierender Gleichgültigkeit

Der Fremde - Albert Camus

Der Fremde
von Albert Camus

Bewertet mit 3.5 Sternen

Der Fremde“ ist der Debütroman von Albert Camus, der im Jahr 1943 erschien, als Camus gerade 29 Jahre alt war. Es ist die Geschichte eines jungen Franzosen, der in Algier lebt und den ein lächerlicher Zufall zum Mörder macht. Der Roman war der schriftstellerische Durchbruch von Albert Camus und das obwohl er sehr schlicht, fasst schon kindlich schreibt, ohne komplexe Strukturen, ohne komplexe Geschichten einfach nur. Oder vielleicht auch gerade deshalb.

„Als der Wärter mir eines tages gesagt hat, ich wäre seit fünf Monaten da, habe ich es geglabut, aber ich habe es nicht begriffen. Für mich war es unaufhörlich der selbe Tag, der sich in meiner Zelle breitmachte, und dieselbe Aufgabe, der ich nachging.“ (S. 105)

Meursault lebt ein unauffälliges, fast schon langweiliges, bedeutungsloses Leben. Er pflegt kaum soziale Kontakte, ist ausdruckslos und emotionslos. Die Geschichte wird uns durch ihn erzählt. Dabei gliedert sich die Geschichte in zwei Teile, wobei der erste nur wenige Tage, der zweite jedoch mehrere Monate umfasst.

Meursault beginnt mit seiner Erzählung, als seine Mutter stirbt und er zu ihrer Beerdigung fährt. Er hält Totenwache und wohnt der Beerdigung bei ohne auch nur eine Träne zu vergießen. Gefühle und Emotionen scheint er nicht zu haben, er ist schlicht gestrickt, stört sich an physischen Begebenheiten wie etwa zu großer Hitze mehr, als an der Tatsache, dass er gerade seine Mutter beerdigt.

Am nächsten Tag lernt er Marie kennen, die seine Freundin wird und ihn heiraten möchte. Doch auch dies ist Meursault vollkommen gleichgültig. Marie ist da, ab und an verspürt er etwas wie Glück mit ihr, aber ihm ist egal ob sie nun seine Freundin ist oder nicht. Marie liebt ihn gerade deshalb, weil er nicht wie andere ist, weil er seine Eigenheiten hat. Sein Nachbar Raymond ist das genaue Gegenteil von Meursault, er ist emotional, aktiv und eher gewalttätig, währen Albert gleichgültig und passiv ist. Raymond ist quasi der Auslöser der Handlung, indem er Meursault in den Konflikt mit einem jungen Araber hineinzieht.

Die Geschichte ist kühl, einfach, schlicht. Sie besticht durch viele kurze Sätze mit vielen Hilfsverben – zumindest in der Übersetzung Das machte es mir den kompletten ersten Teil sehr schwer, mich für das Buch zu begeistern. Doch gerade im zweiten Teil ist es genau das, was den Kern der Geschichte so unfassbar gut transportiert.

Meursault selbst spricht nicht viel, er schweigt, wenn er nichts zu sagen hat. Weder drückt er Emotionen aus, noch transportiert er sie in das Gesagte und das Getane anderer. Er hat eine emotionale Distanz zu allem und jedem um ihn herum. Er ist nicht moralisch oder gewissenlos, wie die Anwälte in der späteren Gerichtsverhandlung es hinstellen. Er ist losgelöst von moralischen Werten, er macht scheinbar keinen Unterschied zwischen Gut und Böse. Nicht nur sein Leben und seine Handlungen sind im Gleichgültig, auch jedes andere Leben ist im Gleichgültig, weil ja doch jeder einmal sterben wird, es macht für ihn keinen großen Unterschied ob heute oder in 30 Jahren.

Der zweite Teil des Buches hat mich vollkommen überzeugt. Eine Geschichte die symbolisiert, wie sinnlos dieser Versuch eigentlich ist, rationale Erklärungen für alles Irrationale zu finden. Ein Roman voller philosophischer Aspekte der soviel aussagt und unter die Haut geht, trotz seiner wenigen Seiten und der Tatsache, dass mich der erste Teil kaum begeisterte. Es zeigt uns einen Menschen ohne Gewissen, ohne Absichten ohne Ehrgeiz – einen Menschen, der einen in der Form erschreckt. Dem die Tatsache, das er das Gleichgewicht des Tages störte mehr beunruhigte, als der Tod eines Menschen.

Ein Buch über das Brechen von Werten und Grundsätzen und über da Nicht-Einhalten von gesellschaftlichen Konventionen. Über einen Menschen, der dennoch erkennt, kurz vor dem Ende, dass er glücklich gewesen ist. Ein Buch voller provozierender Gleichgültigkeit und dem Versuch der Gesellschaft, damit umzugehen.

„Worauf es ankam, war eine Fluchtmöglichkeit, ein Sprung aus dem unerbitterlichen Ritus heraus, ein wahnsinniger Lauf, der jede mögliche Hoffnung zuließ.“ (S. 142)

Autor:

Albert Camus war französischer Schriftsteller und Philosoph. 1957 erhielt er für sein publizistisches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Er gilt als einer der bekanntesten und bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts.