Rezension

Ein Buch von großer sprachlicher Intensität, das Leserin und Leser ganz nah an seine Figuren und deren Welt heranführt

Auf der Lichtung - Aharon Appelfeld

Auf der Lichtung
von Aharon Appelfeld

Bewertet mit 5 Sternen

Aharon Appelfelds neuer Roman »Auf der Lichtung« – übersetzt von Mirjam Pressler, im hebräischen Original 2012 erschienen – ist wiederum, wie bei diesem Autor üblich, ein Buch von großer sprachlicher Intensität. Eine eigene Welt ersteht, und Appelfeld führt die Leserinnen und Leser durch die bewusste Einfachheit seiner Sprache ganz nah an seine Figuren und ihre Welt heran; hier wird nicht stilistisch brilliert, aber die Worte »sitzen«. Typisch für Appelfelds Bücher ist z. B., dass gelegentlich etwas wiederholt wird, was schon gesagt wurde, und dass die innere Unsicherheit von Menschen wiedergegeben wird; so heißt es in einem Gespräch zwischen Edmund, dem Erzähler des Buchs, und Isidor: »›Wir werden noch einmal darüber sprechen‹, sagte ich, obwohl mir klar war, dass ich nichts zu sagen hatte.« (S. 196)

Doch nun zur Handlung des Buchs, das zur Zeit des Nationalsozialismus in den karpatischen Wäldern in der Ukraine spielt und das Leben einer Gruppe jüdischer Partisanen beschreibt: Der 17-jährige Edmund, aus dessen Sicht die Handlung erzählt wird, konnte dem Todeszug entkommen, ließ aber seine Eltern – auf deren Drängen – zurück, was ihn sehr belastet. Bei den Partisanen findet er Zuflucht und wird zum Kämpfer ausgebildet. Die Partisanen sorgen zunächst für ihr Überleben, indem sie sich durch Überfälle in den nahe gelegenen Ortschaften Lebensmittel, Medikamente u. a. besorgen; stets müssen sie darauf achten, nicht von Deutschen oder ukrainischen Helfern entdeckt zu werden. Schließlich gelingt es ihnen zweimal, einen Zug entgleisen zu lassen, der Juden in die Todeslager bringt, und Menschen zu befreien. Der Roman schließt mit dem Vorrücken der Roten Armee und der Niederlage der deutschen Truppen.

Wie stets bei Appelfeld spielt das Verhältnis zur Tradition eine große Rolle: zur direkten Herkunft, d. h. den Eltern, Großeltern, wie zur religiösen Tradition. In »Auf der Lichtung« stehen einander die Anhänger des Kommunismus, welche die religiöse Tradition für rückständig halten, und diejenigen gegenüber, welche mit der Rückbindung an die jüdische Tradition und ihre religiösen Quellen eine Stärkung der Menschen erreichen wollen; nicht allein der Kampf soll danach das Entscheidende sein, sondern der Kampf soll auf Basis einer ethisch-religiösen Entwicklung erfolgen.

Letztere Position vertritt vor allem Kamil, der Anführer der Partisanen; seine Quellenkenntnis ist zum großen Teil durch die Schriften des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber vermittelt – der real einer der Lehrer Appelfelds war – sowie durch die Werke Franz Rosenzweigs. Martin Buber wird immer wieder erwähnt; es gibt eine Parallele zwischen den Lernzeiten, mit denen Buber durch Rückbindung an die Tradition die Kraft der im nationalsozialistischen Deutschland lebenden Juden stützen wollte, und den Studienabenden, die Kamil mit seinen Partisanen veranstaltet und an denen man sich der Bibel oder chassidischen Erzählungen – in der Überlieferung Bubers – widmet. Kamil wird auch als religiöser Anarchist bezeichnet, so wie Gershom Scholem Martin Buber nannte.

Appelfeld führt Leserin und Leser, wie bereits gesagt, ganz nah an seine Figuren und deren Welt heran; mit der Gruppe der Partisanen schafft er eine Gemeinschaft, in der es Reibereien gibt, aber letztlich die Achtung der unterschiedlichen Personen voreinander bestimmend ist: Jede und jeder ist in dieser Gemeinschaft unverzichtbar, der blinde Rabbi, der für die Partisanen Mützen strickt, ebenso wie das 2-jährige Kind Milio oder die alte Großmutter Zirl, welche aus ihrer Weisheit schöpfen sowie die Partisanen mit ihren Verwandten und Vorfahren verbinden kann, die sie zum großen Teil kannte.

Bei aller Verzweiflung und Unsicherheit bleibt in dieser Gemeinschaft letztlich doch immer die Hoffnung bestimmend.

Kommentare

Naibenak kommentierte am 12. Juni 2014 um 09:03

Sehr schöne Rezension, die mein Interesse geweckt hat. Habe bisher noch nichts von diesem Autor, der mir aber bekannt ist, gelesen. Ich denke, das möchte ich nun ändern ;) Danke.

Steve Kaminski kommentierte am 12. Juni 2014 um 09:08

Hallo, naibenak,

das freut mich - und danke für Deinen Kommentar! Viele Grüße