Rezension

Ein Buch zum Träumen!

Wenn die Nacht in Scherben fällt - Anika Beer

Wenn die Nacht in Scherben fällt
von Anika Beer

*Worum geht's?*
Nele ist kein normales Mädchen - das merkt man nicht nur an ihren bunten Haaren und ihrem extravaganten Kleidungsstil! Nele hat eine besondere Gabe. Sie ist eine Klarträumerin, was sie dazu befähigt, ihre Träume selbst zu erschaffen, zu formen und zu lenken. Während andere in ihren Träumen die Kontrolle verlieren, bleibt Nele völlig klar bei Bewusstsein - und lenkt damit die Aufmerksamkeit des Traumwächters Seth auf sich. Als sich Neles Freund Jari in seinen Träumen verirrt, braucht Nele Seths Hilfe, um ihn zu befreien. Doch der hat seine ganz eigenen Pläne mit Nele...

*Meine Meinung:*
In ihrem neuen Einzelband "Wenn die Nacht in Scherben fällt" lädt Autorin Anika Beer zum Träumen ein. Ohne große Erklärungen oder Einleitungen wirft sie ihre Leser in einen Traum, der einen mit seiner sonderbaren und doch wunderschönen Stimmung sofort gefangen nimmt und neugierig macht: Was geht hier vor? Anika Beer lässt ihre Leser nicht lange zappeln. Schon auf den nächsten Seiten stellt sie die wichtigsten Charaktere, ihre Rollen in der Geschichte und die Grundzüge der Handlung vor. Kaum sind die Grundbausteine gelegt, zieht die Autorin das Tempo stark an. Die Geschichte fliegt an einem vorbei und wechselt dabei zwischen mitreißenden, spannenden und ruhigen, erholsamen Szenen ab. Die richtige Balance macht "Wenn die Nacht in Scherben fällt" trotz vieler ruhiger Momente zu einem Pageturner, den man nicht aus der Hand legen möchte. Leider handelt die Autorin das Ende ihres Romans zu schnell ab und bringt das Gleichgewicht damit durcheinander, aber das Gesamtbild wird dadurch kaum gestört.

Frau Beer ist eine Autorin, die mit neuen und unverbrauchten Ideen frischen Wind in das Genre bringt. Sie verleiht ihren Geschichten stets etwas noch nie Dagewesenes, was für eine ganz besondere Atmosphäre sorgt. Die Welt der Träume und ihre Macht, um die es in "Wenn die Nacht in Scherben fällt" geht, ist zwar ein Motiv, das man durchaus schon aus anderen Romanen kennt, aber Anika Beer hat mit ihrem Ideenreichtum wieder etwas völlig Neues daraus gezaubert. Sie schafft ihre eigene Welt nach ihren Regeln - und kann damit auf ganzer Linie überzeugen.

Nele ist alles andere als eine typische Protagonistin. Mit ihren blauen Haaren, den grünen und pinken Strähnen, dem außergewöhnlichen Kleidungsstil und dem Lippenpiercing entspricht sie nicht sonderlich dem Bild der klischeehaften scheuen Schönheit. Aber ihr Aussehen ist nicht das einzige Besondere an Nele, sie verfügt auch über eine sonderbare Gabe; eine Gabe, die nicht nur Vorteile mit sich bringt. Nele ist eine Klarträumerin, was sie dazu befähigt, ihre Träume selbst zu erschaffen und zu formen. Die kluge und aufgeschlossene Nele, die trotz ihres extravaganten Aussehens eher ernst und vorsichtig ist, ins zweifelsohne eine Protagonistin, die man gerne auf ihren Abenteuern begleitet.

Jari dagegen ist ein vollkommen verschlossener junger Mann, der seine Gedanken und Gefühle, vor allem aber seine Geschichte für sich behält. Lernt man ihn erst einmal kennen, wird auch schnell klar, warum. Durch Nele beginnt Jari jedoch aufzublühen, aus sich herauszukommen, was ihn mit der Zeit immer sympathischer macht. Jari ist eben einer dieser Charaktere, die man einfach mögen muss, auch wenn man ihn nicht auf Anhieb durchschauen kann. Nichtsdestotrotz hätte er ein wenig stärker in den Vordergrund gerückt werden können. Obwohl er ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, hat Jari mich nicht so sehr überzeugen können wie Nele.

Seth, der egoistische Traumwächter, der sich nur um seine eigenen Angelegenheiten schert und ohne Rücksicht auf Verluste alles tun würde, um seinen Willen zu bekommen, spielt die dritte entscheidende Rolle und sorgt damit für jede Menge Chaos und Turbulenzen. Obwohl Seth ein Tunichtgut durch und durch ist, kann man ihm nie wirklich böse sein. Er ist ein charmanter Kerl, der ganz genau weiß, wie er jemanden um den Finger wickeln kann - und das sogar über die Seiten des Buches hinaus.

Die typische Figurenkonstellation, bestehend aus einem Mädchen und zwei Jungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und beide auf ihre Weise eine gewisse Anziehungskraft auf die Protagonistin ausüben, lässt schnell das Gefühl aufkommen, dass man es hier mit einer typischen Dreiecksbeziehung zu tun bekommen wird. Doch Anika Beer hat viel zu viel Fantasie, um sich abgedroschenen Klischees bedienen zu müssen. In "Wenn die Nacht in Scherben fällt" spielen romantische Gefühle zwar eine Rolle, aber nicht so, wie man es erwarten würde, sondern still und zurückhaltend.

Anika Beer lässt die Geschichte von einem außenstehenden Erzähler schildern, der zwischen drei verschiedenen Perspektiven wechselt. Er beschreibt die die Szenen mit einem besonderen Fokus auf Nele und Jari und lässt dabei ihre persönlichen Empfindungen stark hervortreten. Er gibt aber auch den Traumwächtern (besonders Seth) zu Beginn eines jeden Kapitels die Möglichkeit, einen Teil der Geschichte aus einem neuen Blickwinkel zu zeigen. Durch die unterschiedlichen Betrachtungsweisen des Geschehens bekommt man einen tieferen Einblick in die Figuren geboten - und in ihre Pläne und Absichten, die die Spannung in die Höhe treiben.

Bei all den Reihen und Serien auf dem Buchmarkt ist man froh, ab und an mal wieder einen Einzelband wie diesen in die Hände zu bekommen. Leider ist ausgerechnet "Wenn die Nacht in Scherben fällt" eines jener Bücher, zu denen ich mir eine Fortsetzung sogar wünschen würde. Zwar muss ich zugeben, dass die Geschichte mit ihrem runden Abschluss kaum ein besseres Ende hätte finden können, aber das Setting, die Charaktere, die gesamte Welt hat mir so gut gefallen, dass ich mich nach der letzten Seite noch gar nicht von ihnen verabschieden mag. Aber wie heißt es doch so schön: Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Und macht nicht auch eben diese Tatsache, dass ich mich so wohl in dem Buch gefühlt habe, deutlich, dass Anika Beer mit ihrer Geschichte alles richtig gemacht hat? Nun, es bleibt ja noch immer die Möglichkeit, von Nele, Jari und Seth zu träumen...

*Cover:*
Traumhaft schön und so passend! Anfangs dachte ich, das Cover würde nur den Zweck erfüllen, hübsch auszusehen, aber tatsächlich fängt es die gesamte Geschichte perfekt ein. Einfach wundervoll!

*Fazit:*
"Wenn die Nacht in Scherben fällt", ein Einzelband der deutschen Autorin Anika Beer, ist ein Idealbeispiel dafür, dass man für gute Jugendfantasy nicht immer nur aus dem Ausland importieren muss. Mit einer durchdachten und einzigartigen Handlung, sympathischen Charakteren und einem traumhaften Schreibstil bietet dieser Roman einfach alles, was man sich nur wünschen kann. Für "Wenn die Nacht in Scherben fällt" vergebe ich gute 4 Sterne.