Rezension

Ein Buch, zwei Wahrnehmungen

Im Bauch der Königin - Karosh Taha

Im Bauch der Königin
von Karosh Taha

Bewertet mit 4 Sternen

Eine kurdische Community in einer deutschen Stadt im Ruhrgebiet: dort leben Amal, Younes, Raffiq mit ihren Müttern und  Vätern. Sie sind in Deutschland aufgewachsen, können besser deutsch als kurdisch, gehen in deutsche Schulen und sind trotzdem immer noch Teil einer fremden Subkultur. Die Eltern leben größtenteils noch traditionell. Es ist schon ein mittelschweres Drama, wenn die kurdischen Gewürze ausgehen und das Gekochte „deutsch“ schmeckt. Doch in dieser Enklave sticht eine Frau heraus, Shahira. Sie ist Younes Mutter, die verdammte Königin des Viertels, eine „verdorbene“ Frau, die sich offenherzig kleidet und promiskuitiv lebt.

Im Bauch der Königin ist der zweite Roman der kurdisch stämmigen deutschen Autorin Karosh Taha. Formal ist dieses Buch etwas ganz Besonderes, denn es sind zwei Bücher in einem. Ein Wendebuch mit zwei Buchcovern, zweimal einem Impressum. Zwei Realitäten, die beide so stattfinden könnten und ganz unterschiedlich wahrgenommen werden. Es sind dieselben Protagonisten in diesen Realitäten, aber sie werden unterschiedlich betrachtet. Während der eine Teil aus Amals Sicht erzählt, dem „Moglimädchen“, das sich nicht benimmt, wie man es von einem Mädchen, schon gar nicht einem kurdischen Mädchen erwartet, steht im anderen Teil Raffiq im Fokus. Die Familien ähneln einander, die Freundschaftsverhältnisse differieren. Mal sind Amal und Younes innige Freunde und Raffiq der „Erzfeind“, mal sind Raffiq und Amal ein Paar, die beiden Burschen beste Freunde.

Das Leben der Migranten ist ein eintöniges, die Aussicht auf die neue Welt durch den Zementblock alter Traditionen verbaut. Die Tage wiederholen sich. In der Wiederholung liegt auch der große Reiz dieses Buches, der sich mit der Zeit jedoch abnützt. Hier musste ich manchmal höllisch aufpassen, nicht den Faden oder das Interesse zu verlieren.

Als Konstante in beiden Realitäten ist Younes jedoch immer der „Hurensohn“ und Shaihra die Schlampe. Und gleich in welcher Realität wir uns befinden, es geht immer um Heimat, Herkunft, Familie, einen Blick zurück und die große Frage, was die Zukunft  bereithält. Es geht um Ausgrenzung in der fremden neuen Heimat, aber auch um Ausgrenzung innerhalb der eigenen Gemeinschaft. Es geht um weibliche und männliche Perspektiven, stark patriarchale Strukturen und das Aufkeimen weiblicher Selbstbestimmung.

In den ganz alten Geschichten der alf leila wa leila, den Geschichten aus tausendundeiner Nacht, erzählt eine Frau um ihr Leben. Sie erzählt von Zeiten als „Frauen noch Königinnen waren und Ifrite aus Meeren aufstiegen, um Menschen das Leben zu erschweren“ . Auch Karosh Taha ist eine begnadete Erzählerin, die mit Poesie und bildhafter Sprache aufwarten kann. Das Paradies liegt angeblich unter den Füßen der Mutter. Das Paradies, das die jungen Menschen in dieser Geschichte zu finden hoffen, ist kein mystisches. Es ist ein ganz irdischer Platz, an dem sie ankommen können, es ist der Zugang zu Bildung, es ist das eigene intellektuellen und wirtschaftliche Fortkommen. Es ist nicht ganz so einfach, „wenn die Mutter eine Hure ist“, sagt Younes. Es ist ein großer Abnabelungsprozess. Dem Bauch der Königin zu entwachsen, ist nicht immer nur ein biologischer Vorgang.

„Es gibt ein Ende, sagt Younes.“ Das Ende, von dem Karosh Taha erzählt, ist gleichzeitig ein neuer Anfang.