Rezension

Ein Chor, ein Haus in den Westfjorden und ein paar patente Frauen

Das Echo dieser Tage - Kristín Marja Baldursdóttir

Das Echo dieser Tage
von Kristín Marja Baldursdóttir

Bewertet mit 4 Sternen

Die Isländerin Flóra verliert nach 30 Jahren im Betrieb ihren Job, weil ihre Firma sich ein jüngeres Image geben will und weil ihr männlicher Kollege scharf auf genau diesen Job war. Flóra büßt mit ihrer Arbeit schlagartig alle Kontakte zu anderen Menschen ein. Ihre Tochter lebt in Australien, ihr Sohn ist in Reykjavik mit seinem eigenen Leben beschäftigt. Schon lange vorher ausgebrannt und desillusioniert, erzählt Flóra aus der Ichperspektive vom Tiefpunkt ihres Lebens, an dem sie sich plötzlich wiederfindet.  Als die Schwiegermutter ihres Sohnes anbietet, Flóra könnte in ihrem Elternhaus in den Westfjorden wohnen und im Gegenzug das Haus streichen, verspricht diese Aufgabe einen Aufschub in dem Schlamassel. Erst im nächsten Sommer würde das Haus wieder an Touristen vermietet werden und Flóra könnte bis dahin ihre eigene Wohnung untervermieten. Trotz der vernünftigen Regelung wird sie jedoch den Eindruck nicht los, dass ihre Kinder sie abschieben wollen.

Flora kommt im drohenden Schneesturm in den Westfjorden an. Der Winter steht vor der Tür; morgens wird es erst gegen 11Uhr hell. Als Städterin ist Flora überrascht von der absoluten Dunkelheit, die hier oben herrscht. Während sie das Haus in Besitz nimmt, wird deutlich, dass Flóra  eine Frau von Grundsätzen ist. „Das ging natürlich nicht“, sagt sie sich und schaufelt im nahenden Schneesturm schnell noch den Fußweg frei. Flóra hat in ihrem Leben immer Aufträge ausgeführt, sich an Regeln gehalten und getan, was Männer von ihr erwarteten. Entscheidungen getroffen und Verantwortung dafür übernommen hatten jedoch stets andere. So hatte Flóra ihren trinkenden Mann ertragen; erst ihr Sohn hatte den Vater rausgeworfen und für sie eine eigene Wohnung gesucht. Menschen wie Flóra fühlen sich leicht ausgenutzt und kriegen aus dieser Situation heraus nur schwer die Kurve.

Flóra fühlt sich im Nordwesten Islands anfangs wie eine Einwanderin aus einem fremden Land, und im Winter scheint hier niemand freiwillig vor die Tür zu gehen. Doch als der Chor  dringen Frauenstimmen braucht (sie ist offenbar in den einzigen Ort der Welt geraten, in dem der Chor Frauenstimmen sucht), setzt die Organistin Petra  Flóra dankbar dafür ein, drei Arbeiterinnen der Fischfabrik die isländische Aussprache beizubringen.  Die Frauen stammen aus Polen, Spanien und Ungarn, so dass sich vor Flóra drei verschiedene Schicksale und drei unterschiedliche Gesangstalente entfalten. Unter Petras Fuchtel scheint Flóra bald wieder in die vertraute Struktur zu fallen, dass andere Pläne machen und sie die Arbeit erledigt. Neben der Planung des Chorauftritts hält das Leben für Flóra einige Aufregung bereit. Als das Leben zu ihr kommt, stellt sie überrascht fest, dass auch sie  ein geschicktes Händchen fürs Organisieren hat …

Eine Icherzählerin mit geringem Talent zur Selbstkritik stellt einige Anforderungen an die Geduld der Leser. Immer sind andere Schuld, und wenn es Flóras Mutter ist, die sich früher nach Ansicht der Tochter zu stark für ihren Beruf als Botanikerin und die Frauenrechte interessierte und zu wenig für ihr Kind. Von einer 60-Jährigen mit erwachsenen Kindern hätte ich erwartet, dass sie sich inzwischen mit ihrer Mutter versöhnt hat. Dass Schicksale anderer Menschen der Icherzählerin eine neue Sicht auf ihr Leben ermöglichen, war vorhersehbar. Flóra wirkt in ihrem Selbstmitleid und ihrer unstillbaren Suche nach Anerkennung anfangs höchst anstrengend; doch irgendwo glimmt ein Funke Humor und Selbstironie in Flóra. Ein einfaches Haus an abgelegenem Ort, die Versöhnung mit dem eigenen Altern und ein Neuanfang sind bewährte Puzzlestücke aus Frauenromanen, die sich hier  zur Wende in Flóras Leben fügen. Dass eine Ortsfremde auf Frauen trifft, denen die Integration ins isländische Leben anfangs schwergemacht wird, gibt dem altbewährten Motiv vom Haus auf dem Land einen modernen Anstrich.