Rezension

Ein Dorf schweigt

Im Wald - Nele Neuhaus

Im Wald
von Nele Neuhaus

Bewertet mit 5 Sternen

„...Verdrängung ist die tödlichste Form der Verleugnung...“

 

Elias hat sich entschieden, einen kalten Entzug zu machen. Deshalb zieht er sich in einen Campingwagen zurück. Ausschlaggebend war die Schwangerschaft seiner Freundin Nike. Elias möchte das Abi nachholen und sein Kind aufwachsen sehen.

Felicitas lebt im Wald im Haus ihrer Schwester, die für einige Zeit verreist ist. Plötzlich hört sie in der Nacht einen Knall. Sie sieht einen hellroten Feuerball über den Campingplatz.

Wenige Minuten später ist Oliver von Bodenstein am Tatort. Da weiß er noch nicht, dass die Kollegen eine Leiche gefunden haben und dass er den Toten kennt.

Die Autorin hat einen fesselnden und abwechslungsreichen Kriminalroman geschrieben. Die Geschichte lässt sich zügig lesen und hat mich schnell in ihren Bann gezogen.

Oliver hat ein Sabbatjahr beantragt und wird in wenigen Wochen seine Dienststelle verlassen. Ob er je zurückkehrt ist ungewiss. Sein letzter Fall wird gleichzeitig sein persönlichster, denn er führt ihn weit zurück in seine Vergangenheit. Im Jahre 1972 verschwand der 11jährige Artur. Er war Olivers bester Freund. Außerdem hatte Oliver einen zahmen Fuchs. Auch er ward nach diesem Tag nie wieder gesehen. Als es jetzt eine weitere Tote gibt, erkennt Oliver, dass jemand aufräumt, damit die Geschehnisse von 1972 nicht ans Tageslicht kommen. Da er befangen ist, gibt er die Leitung der Ermittlung an Pia Sander ab.

Der Schriftstil des Buches ist angenehm lesbar. Obiges Zitat ist dem Buch vorangestellt. Sein Inhalt durchzieht die Geschichte. Die Geschehnisse von 1972 haben die Menschen in Ruppertshain verändert. Das wird sprachlich deutlich herausgearbeitet. Doch anfangs schweigt ein ganzes Dorf – und das seit Jahren. Die Kinder von damals sind jetzt angesehene Bürger. Glücklich aber ist keiner, auch wenn es nach außen so scheint. Die Autorin legt viel Wert auf die Emotionen ihrer Protagonisten. Olivers Selbstanklage, seine Trauer, die erneut wieder aufbricht, die Selbstgerechtigkeit von Peter Lessing und Elias` Verzweiflung sind nur einige Beispiele dafür. Oliver hatte sich damals die Schuld gegeben. Die Autorin ermöglicht mir einen tiefen Blick in seine Seele. Nicht nur das damalige Verhalten der Kinderbande, auch seine Beziehung zu seinem Beruf hinterfragt er fortwährend. Zu den sprachlichen Höchstleistungen gehören die Verhöre. Die berührendste Szene aber ist die Rede von Arturs Schwester auf der Pressekonferenz. Sie vermittelt den Leuten, dass das Verschwinden ihres Bruders eine Familie zerbrochen und bei allen Spuren hinterlassen hat. Nach und nach wird klar, was geschehen ist. Erschütternd für Oliver ist die Information, wer damals die Fäden gezogen hat. Es war nicht derjenige, der jahrelang als Führer der Bande galt. Die Verflechtungen waren weit subtiler und die Geschehnisse komplexer, als es auf den ersten Blick schien. Hinter dem schönen Schein lebt nicht nur eine kaputte Familie. Unfälle der vergangenen Jahre erschienen im neuen Licht. Als Mörder der Gegenwart kommen viele in Frage. Doch es bedarf lange Zeit, bevor die richtigen Schlüsse gezogen werden konnte, denn der Täter agiert geschickt.

Ein Personenregister und eine Danksagung vervollständigen die Geschichte.

Das Cover mit dem hellen Licht im Wald und den auf einem Ast spazierenden Fuchs wirkt geheimnisvoll.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Die Autorin hat es verstanden, in einer komplexen Geschichte zu zeigen, was Eifersucht, Hass und Vorurteile anrichten können.