Rezension

Ein Dorfleben abseits der Idylle...

Die Bagage - Monika Helfer

Die Bagage
von Monika Helfer

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Dorfleben abseits der Idylle - die Autorin auf Spurensuche in der Vergangenheit ihrer Familie, stilistisch gelungen...

Josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren Kindern am Rand eines Bergdorfes. Sie sind die Abseitigen, die Armen, die Bagage. Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs und Josef wird zur Armee eingezogen. Die Zeit, in der Maria und die Kinder allein zurückbleiben und abhängig werden vom Schutz des Bürgermeisters. Die Zeit, in der Georg aus Hannover in die Gegend kommt, der nicht nur hochdeutsch spricht und wunderschön ist, sondern eines Tages auch an die Tür der Bagage klopft. Und es ist die Zeit, in der Maria schwanger wird mit Grete, dem Kind der Familie, mit dem Josef nie ein Wort sprechen wird: der Mutter der Autorin. Mit großer Wucht erzählt Monika Helfer die Geschichte ihrer eigenen Herkunft. 

Das Buch bekam ich geschenkt, das Hörbuch hatte ich mir kurz zuvor gekauft. Daher habe ich beschlossen, hier parallel zu fahren, d.h. erst zu lesen und die Erzählung anschließend auch noch zu hören, falls es mir gefallen sollte. Es gefiel...

Ein Puzzle breitet Monika Helfer hier aus, das Ergebnis der Spurensuche nach ihren eigenen Familienwurzeln. Die Autorin hat hierfür mit den zahlreichen Geschwistern ihrer Mutter gesprochen, um das Bild zusammensetzen zu können, die verschiedenen Versionen abgeglichen und eingefügt. Und man erhält hier ein sprödes, unprätentiöses Bild von dem Leben der armen Familie am Rande eines kleinen Bergdorfes.

Die Erzählung beginnt zeitlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Eltern Maria und Josef werden ebenso skizziert wie ihre einzelnen Kinder mit ihren verschiedenen Eigenschaften. Der Leser erhält einen Eindruck, wie es war, in bitterer Armut abseits der Dorfgemeinschaft zu leben, jedes Familienmitglied mit einer eigenen Aufgabe betraut, als Gesamtgefüge eine funktionierende Gemeinschaft, wenig spürbare Herzlichkeit, aber eine unbedingte Zugehörigkeit.

Schwierig wird es, als Josef zum Kriegsdienst verpflichtet wird und Maria mit den Kindern alleine zurückbleibt. Dem befreundeten Bürgermeister trägt Josef daher auf, auf seine Familie zu achten und vor allem Maria gut im Auge zu behalten, damit mögliche Gefahren abgewendet werden können. An einem Markttag lernt Maria dann einen jungen Mann aus Hannover kennen, der sie einige Tage später auch auf ihrem Hof besucht.

Das ist schließlich das Startsignal für das soziale Aus. Eh schon eher toleriert denn geachtet, gehen nun im Dorf Gerüchte über den liederlichen Lebenswandel der Maria um. Schwanger ist sie außerdem, doch dass dieses ungeborene Kind - die spätere Mutter der Autorin - von Josef stammen könnte, der immerhin einige Tage auf Heimaturlaub da war, schließen die bösen Zungen aus. 

Tatsächlich muss sich Maria gegen Übergriffe wehren - allerdings gegen die des Bürgermeisters, der immer zudringlich zu werden beginnt. Schließlich wendet er sich ab, unterstützt die Familie aber auch nicht länger mit Lebensmitteln und anderen dringend benötigten Dingen. Der Pfarrer wettert von der Kanzel und gießt damit Gallonen von Öl ins Feuer - die Familie steht im Abseits. Bittere Not erfordert schließlich besondere Maßnahmen, und einer der Söhne nimmt das Heft schließlich in die Hand...

Nach Kriegsende kehrt Josef heim, und die Gerüchte ereilen ihn schon bevor er das Dorf betritt. Das Mädchen, Grete, ist inzwischen geboren - und sie wird erleben, dass der Vater (denn tatsächlich kommt niemand anderer in Frage als Josef) Zeit seines Lebens nicht ein einziges Mal das Wort an sie richtet...

Die Familiengeschichte wird nicht linear erzählt, sie springt in den Zeiten, beleuchtet das damalige Geschehen, aber auch die Spurensuche der Autorin selbst und die Gesprächen mit den noch lebenden Geschwistern der Mutter. Spröde ist der Schreibstil, wenig emotional wie das damalige Dorfleben, und wirkt darum unglaublich authentisch. Dabei klagt die Autorin nicht an, sie scheint sich als Chronistin der Ereignisse zu sehen, was zuweilen zwar ein wenig Melancholie durchschimmern lässt, ansonsten aber eher distanziert wirkt. Hierzu passt hervorragend die leicht heisere, ebenso spröde Stimme der Autorin, die das ungekürzte Hörbuch (4 Stunden und 36 Minuten) selbst liest - den passenden Dialekt inbegriffen.

Eine leise, ruhige Erzählung, ein Teppich gewebt aus vielen Fäden der Vergangenheit, auf dem die Mitglieder der Familie bis heute schreiten. Deutlich wird hier eben auch, dass die Erlebnisse voriger Generationen ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart zeitigen. Und dies ist vielleicht das Allgemeingültige an dieser Erzählung.

Mir hat der Einblick in diese sehr persönliche Familiengeschichte jedenfalls gefallen...

 

© Parden