Rezension

Ein dunkles Kapitel in der Geschichte Amerikas

Underground Railroad
von Colson Whitehead

Bewertet mit 4 Sternen

„Wie bei allem im Süden fing es mit der Baumwolle an. Die erbarmungslose Baumwollmaschine verlangte ihren Treibstoff, afrikanische Leiber. Schiffe fuhren kreuz und quer über den Ozean und schafften Leiber herbei, damit sie das Land bearbeiteten und weitere Leiber zeugten.“ (S. 164)

Cora ist nur eine von unzähligen Schwarzen, die auf den Baumwollplantagen Georgias schlimmer als Tiere behandelt werden. Eines Nachts hält sie es nicht mehr aus und wagt die Flucht von der Plantage der Randalls, wo sie als Sklavin jeden Tag der Willkür von Schlägen, Auspeitschungen und Vergewaltigungen ausgesetzt ist. Ihr Weg führt sie schließlich zu der titelgebenden Underground Railroad, einer unterirdischen Eisenbahn, die weiße Helfer gemeinsam mit freien Schwarzen im ganzen Land aufgebaut hatten, um Sklaven zur Flucht in den Norden zu verhelfen. Doch jedes Mal, wenn Cora an einer Station aussteigt, findet sie andere Bedingungen vor und nicht alles, was zunächst positiv erscheint, ist es auch. So begegnet man in der Geschichte neben Leichendieben, Kopfgeldjägern, zwielichtigen Ärzten auch hilfsbereiten Bahnhofswärtern. Doch jede Flucht ist nicht nur lebensgefährlich für die Fliehenden, sondern auch für ihre Helfer. So muss im Lauf dieses Romans der ein oder andere unter grausamsten Umständen sein Leben lassen.

Grausamkeit und Menschenverachtung sind zwei Begriffe, die für mich Colson Whiteheads Bestseller in Kurzform beschreiben. Er handelt von einem der dunkelsten Kapitel der Geschichte Amerikas und wurde 2016 mit dem National Book Award und 2017 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Die Underground Railroad gab es tatsächlich, wenn auch nicht in physischer Form, wie es in dem Roman dargestellt wird. Es handelte sich ursprünglich hierbei um ein geheimes Netzwerk, das Sklaven aus den Südstaaten in den freien Norden und bis nach Kanada schleuste und dabei als Code Wörter aus der Welt der Eisenbahn verwendete. Auch diente wohl das Federal Writers‘ Project, das in den 1930er Jahren die Lebensgeschichten ehemaliger Sklaven sammelte neben den Steckbriefen entlaufener Sklaven aus den digitalen Sammlungen der University of North Carolina in Greensboro als Inspirationsquelle für Colson Whitehead.

Dem Autor gelingt mit diesem Roman die Verschmelzung zwischen Tatsachen und erfundener Szenerie so gut, dass einem die Fiktion trotz extremer Grausamkeit und übelster Menschenverachtung nicht abwegig erscheint. Aber er wird auch sehr deutlich und schildert Vorgänge äußerster Brutalität so ungeschönt, dass es mich beim lesen schockiert zusammenzucken ließ. Dieses Buch ist nichts für zartbeseitete Leser, aber es versteht dennoch zu berühren, weil es das Verbrechen der Sklaverei in seiner Vielschichtigkeit aufzeigt, die dadurch im nachhinein entstandenen Probleme verdeutlicht und den zum Teil heute noch herrschenden Rassismus indirekt vor Augen führt. Erschütternd, aber empfehlenswert!

„Mein Vater hat dieses Indianergerede vom Großen Geist gemocht“, sagte Ridgeway. „So viele Jahre später ist mir der amerikanische Geist lieber, derjenige, der uns aus der Alten Welt in die Neue gerufen hat, damit wir erobern, aufbauen und zivilisieren. Und zerstören, was zerstört werden muss. Um die unbedeutenderen Rassen emporzuheben. Und wenn nicht emporzuheben, dann zu unterwerfen. Und wenn nicht zu unterwerfen, dann auszurotten. Unsere Bestimmung kraft göttlicher Vorschrift – der amerikanische Imperativ.“ (S. 224)