Rezension

Ein ehemaliger englischer Wirtschaftswald

Im Wald - John Lewis-Stempel

Im Wald
von John Lewis-Stempel

Bewertet mit 5 Sternen

Der Journalist und Autor John Lewis-Stempel kauft das Anwesen Trelandon mit Blick auf die Black Mountains in Herefordshire, in einer Gegend, in der bereits seit dem 13. Jahrhundert seine Vorfahren als Landwirte arbeiteten. Er und seine Frau züchten zu diesem Zeitpunkt schon Schafe, sie möchten mehr Platz dafür und wollen vom Tourismus entlang des Offa’s Dyke Path profitieren, indem sie Zimmer vermieten und Wollprodukte auf Bauernmärkten verkaufen. Die 16 ha liegen idyllisch am Escley, ein verfallenes Farmhaus und 1000-jährige Eichen warten auf die neuen Besitzer. Das abgelegene Tal mit Blick auf die Red Mountains an der Grenze zu Wales scheint die letzte Wildnis Englands zu sein.

Cockschutt heisst sein Wäldchen, weil die Engländer so ein Waldstück nannten, in dem Schnepfen mit Netzen gefangen wurden. Der Wald mitsamt einem kleinen Teich, dem Lewis-Stempel sich einen Jahreslauf als Tagebuch schreibender Beobachter widmet, ist beispielhaft für einen kleinen englischen Wirtschaftswald, in dem die Bewohner früher ihre Nutztiere weiden ließen und aus dem sie u. a. durch „Heckenknicken“ Nutzholz für Werkzeuge, Bauholz, Zäune, Särge und Karren holten. Das Beweiden durch Kühe und Schweine  versorgt die Tiere mit Laubheu, lockert den Boden auf, reduziert das Brombeer-Gestrüpp und schafft damit Raum für Pilze und Kleintiere. Allerdings bietet Lewis-Stempels Waldstück nur 4 Red Poll Kühen Lebensraum.

Der Autor zeigt sich hier wieder als Universaltalent. Mit Tieren aufgewachsen, hat er unbewusst die Lebenserfahrung seiner Eltern und Großeltern aufgesaugt und liefert seinen Lesern Einblick in die Tier- und Pflanzenwelt des südlichen England, in Regionalgeschichte, den umfangreichen lokalen Wortschatz und in Rezepte für die Verarbeitung von Früchten seines Waldes. Das Lewis-Stempel „den Wald“ als Kind zuerst in Abenteuerbüchern kennenlernte, hat seinem Nature Writing offensichtlich nicht geschadet. Heute, als Grund- und Waldbesitzer, hat er erfahren, dass er kaum einmal untätig den Blick über seine Ländereien gleiten lassen kann, sondern dass Waldarbeit meist schweißtreibende Schufterei ist und ihm dazu Horden von Mücken auf den Hals hetzt. Wald = Schweiß + Mücken. Ein Blick in die Geschichte erzählt davon, wie die ehemals üppigen Wälder der britischen Insel irgendwann nicht mehr bewirtschaftet wurden als Holz zum Bau und zum Schiffbau von anderen Materialien abgelöst wurde. Ein weiterer Blick richtet sich auf „Old Brown“, den Waldkauz, der durch den naturgemäß bewirtschafteten Waldboden offenbar ein so üppiges Nahrungsangebot findet, dass sein Gelege von Jahr zu Jahr um jeweils ein Ei zugenommen hat. An Selbstbewusstsein mangelte es dem Elternpaar Kauz noch nie, sie fühlen sich dafür verantwortlich, Eulen, Füchse, Dachse und fremde Hunde aus ihrem Revier zu vertreiben. Natürliche Feinde des Waldbesitzers sind außer dem Brombeergestrüpp das Vogeleier raubende Grauhörnchen und die ebenso rücksichtslose Kanada-Gans. Lewis-Stempel scheint im Innern noch immer das Kind zu sein, das in Abenteuerbüchern versank und das sich bis heute dafür interessiert, wie das Loch ins Blatt kommt, nachdem dort Gallmilben heranwachsen.

Rein optisch ein Fest fürs Auge (mit der Coverillustration der Originalausgabe, illustriertem Buchdeckel und zartgrünem Leseband) lässt sich Lewis-Stempels neuestes Buch chronologisch im Jahresverlauf verfolgen, aber auch einfach verschlingen.