Rezension

Ein Epos von Helden und Heldinnen

Makarionissi oder Die Insel der Seligen - Vea Kaiser

Makarionissi oder Die Insel der Seligen
von Vea Kaiser

Zum Inhalt: In ihrem zweiten Roman erzählt die österreichische Autorin Vea Kaiser ein griechisches Familienepos. Die Geschichte beginnt im Jahr 1956. Lefti ist der jüngste Spross der Familie Zifkos, doch Großmutter Yiayia Maria macht sich große Sorgen, ob er in Varitsi, einem abgeschiedenen kleinen Bergdorf an der griechisch-albanischen Grenze, jemals die richtige Frau zum Heiraten finden wird. Schließlich ist er der zukünftige Stammhalter, der das Erbe der Familie in Varitsi sichern soll. Ohne mit der Wimper zu zucken, beschließt sie daher, dass dem kleinen Stammhalter am besten die passende Frau geboren wird – und so ist das Schicksal seiner jüngeren Cousine Eleni seit dem Tag ihrer Geburt besiegelt. In den griechischen Bergen wachsen Cousin und Cousine in dem Gewissen auf, füreinander bestimmt zu sein – vielleicht nicht vom Schicksal, aber dafür vom felsenfesten Familienwillen. Doch je näher die geplante Hochzeit rückt, umso deutlicher wird, dass sich Lefti und Eleni, unzertrennlich in der Kindheit, als erwachsene Menschen immer weiter auseinander entwickeln.

„Sie kannten sich, seit sie klein waren. Sie hatten alles miteinander geteilt, alles miteinander erlebt. Cousin und Cousine. Freund und Freundin. Ritter und Heldin. Mann und Frau. Selbst in den größten Krisen hatten sie das Grundvertrauen geteilt, stets ein wichtiger Mensch im Leben des anderen zu sein. Doch nun sahen sie sich an und stellten wortlos fest, dass nichts mehr war wie früher. Lefti war kein Teil mehr von Elenis Leben, und Eleni war kein Teil mehr von Leftis. (S. 164)
Und so beginnt der Lebensweg von Lefti und Eleni, der weniger geradlinig verläuft, als ursprünglich von ihrer Großmutter geplant, und welcher sie raus aus Varitsi, raus aus Griechenland, aber dafür in die niedersächsische Provinz, das ländliche Österreich, in dem die Berge so spitz sind, dass die Götter nicht auf deren Gipfeln sitzen können, und sogar über den Atlantik bis in die USA  führen wird. Vea Kaiser erzählt die Lebensgeschichte der beiden von den Tagen ihrer Kindheit bis in die Zeit, in der sie selbst Großeltern sind. Der Leser begleitet nicht nur Lefti und Eleni, sondern auch deren Kinder und Enkelkinder bis ins Jahr 2014, in dem in Griechenland andere Heldengeschichten erzählt werden, aber Heldentum noch immer bitter nötig ist.

„Doch eine Geschichte hatte Yiayia Maria nie gehört und sie somit auch nicht ihren Enkelkindern erzählen können, die sie wiederum nicht an ihre Enkelkinder weitergeben konnten: Die Geschichte vom einsichtigen Helden, der seine Verfehlungen versteht bevor es zu spät ist, und der Schwäche zeigt, damit die Wunden anderer heilen.“ (S. 458)

Eigene Meinung: Schon nach wenigen Seiten war mir klar, dass der zweite Roman von Vea Kaiser ein ähnliches „Wohlfühlbuch“ wie ihr Erstlingswerk – „Blasmusikpop“ – ist. Mit ihrem unverwechselbaren Erzählstil, der sich sehr leicht und flüssig lesen lässt, warmherzig und lebhaft die unterschiedlichen Charaktere zum Leben erweckt und sich durch einen feinen und treffsicheren Humor auszeichnet, führt die Autorin den Leser durch ihr griechisches Epos. Wie in jeder Familiengeschichte steckt auch in dieser eine bunte Mischung von erfüllten und unerfüllten Träumen, glücklicher und unglücklicher Liebe, tragischen Helden und solchen, die es einfach nicht besser wissen oder besser können, Zusammenhalt, Vertrauen und Misstrauen, Enttäuschung, Verzeihen und Erkenntnis.
Ganz hervorragend gelingt der Autorin dabei die Mischung aus typisch griechischen Klischees (Souflaki, Folklore) und fundiertem Wissen der griechischen Nachkriegsgeschichte bis in die Gegenwart, so dass das Buch neben einer wunderbar unterhaltsamen Lektüre auch noch eine interessante Informationsquelle der jüngeren griechischen Geschichte darstellt. Mit Sicherheit hat die Autorin, die in Wien Altgriechisch studiert hat, sich damit den Traum, das eigene Interessensgebiet und Steckenpferd in einem Roman zu verpacken, erfüllt.

Der Plot der Geschichte selbst ist nicht außergewöhnlich, doch besonders wurde die Geschichte für mich durch die lebhaften und so liebenswerten Figuren im Buch. Obwohl naturgemäß in einer Geschichte, die über fast sechzig Jahre hinweg erzählt wird, eine große Anzahl unterschiedlicher Personen vorkommen, gelingt es der Autorin, einer jeden Figur die ganz persönliche Würze zu verleihen und einen sehr individuellen  und authentischen Charakter einzuhauchen.  Es gibt eigentlich im ganzen Buch keine einzige Figur, von der ich nicht sofort ein lebhaftes Bild vor Augen hatte. Manche Figuren sind so liebevoll geschildert, dass ich sie sofort vermisst habe, wenn der Erzählfluss sich wieder einer anderen Perspektive und einem anderen Helden oder einer anderen Heldin zugewandt hat.

„Stur wird der im Alter, dachte Trudi und ging zurück an ihr Werk. Sanft wird die im Alter, dachte Lefti und kontrollierte die Salzstreuer." (S.382)

Auch die Gliederung des Buches - unterteilt in neun „Gesänge“ – zwischen denen zugunsten des Erzählflusses auch immer mal wieder eine kleinere oder größere Anzahl an Jahren übersprungen wird, ist gut gewählt, so dass die auf 464 Seiten erzählte, 5 Generationen umspannende Geschichte niemals langweilig oder zähflüssig wird.

Das Spiel mit kurzen Anekdoten aus griechischen Helden-Epen sowie die Anlehnung des Erzählstils daran geben dem Buch eine ganz besondere Note, die es, wie schon das Erstlingswerk von Vea Kaiser, zu etwas Besonderem macht.