Rezension

Ein ergreifendes Buch

Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims - Annabel Pitcher

Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims
von Annabel Pitcher

Zum Inhalt:

Seit seine Schwester Rose vor fünf Jahren starb, ist in Jamies Familie nichts mehr so, wie es mal war. Die Mutter hat die Familie verlassen, der Vater gibt sich nur noch dem Alkohol hin und seine andere Schwester Jas hat das Essen quasi komplett eingestellt und sich äußerlich total verändert, weil sie nicht mehr so aussehen will, wie ihre verstorbene Zwillingsschwester. Aber zum Glück gibt es da ja noch Sunya, Jamies Klassenkameradin, und das Spider-Man T-Shirt, das ihm seine Mutter zum Geburtstag geschickt hat…

Meine Meinung:

Als erstes sprang mir natürlich der außergewöhnliche Titel und auch das wunderschöne Cover ins Auge. Bislang dachte ich immer, dass das abgebildete Kind die verstorbene Rose wäre. Aber nein, es ist Jamie. 10 Jahre jung und “Superheld” dieser ergreifenden Geschichte…

"Wenn wir nicht am Trafalgar Square gewesen wären oder es dort keine Tauben gegeben hätte, oder wenn Rose nicht so wild, sondern artiger gewesen wäre, dann würde sie noch leben, und ich hätte eine glückliche Familie." (Seite 47)

Aus der Sicht eines zehnjährigen schildert Annabel Pitcher den Zerfall einer einst intakten Familie. Als Leser dieses Buches hält man quasi Jamies Tagebuch in den Händen.

Aus seiner Sicht, mit seinen Worten beschrieben, wirkt vieles im ersten Moment gar nicht so tragisch, wie es eigentlich in Wirklichkeit ist. Aber da ich ja nun mal erwachsen bin, habe ich die Dinge in diesem Buch völlig anders wahrgenommen als Jamie.

Die Mutter hat die Familie verlassen, der Vater ist dem Alkohol verfallen und schenkt der Urne auf dem Kaminsims mehr Aufmerksamkeit als seinen beiden noch lebenden Kindern. Das zumindest haben die Eltern noch gemeinsam, wenn sie auch sonst nichts mehr vereint: sie vernachlässigen Jamie und Jas.

"Oma sagt Die Menschen wollen immer das haben, was sie nicht bekommen können, und ich glaube, sie hat recht. Dad möchte, dass Rose noch lebt und Jas wieder zehn ist. Ich habe zwar das richtige Alter, aber das falsche Geschlecht, Jas hat das richtige Geschlecht, aber das falsche Alter, und Rose hat das richtige Alter und das richtige Geschlecht, aber sie ist tot. Manche Menschen können nie zufrieden sein, ist ein anderer Spruch von Oma." (Seite 127)

Völlig auf sich allein gestellt, versuchen die beiden das Beste aus ihrer Situation zu machen. Dabei übernimmt Jas mit ihren gerade mal 15 Jahren die Mutter- und Vaterrolle, obwohl auch sie ihr Päckchen zu tragen hat. So oft wollte ich mich am liebsten nach England beamen, in der Küche Tee kochen, elterliche Pflichten übernehmen, Jamie und auch Jas in meine Arme schließen, Trost spenden, die beiden zum Lachen bringen…

Viele Höhepunkte bietet die Geschichte nicht, es gibt keine überraschenden Wendungen. All das braucht dieses Buch aber auch nicht. Und genau genommen zeichnet genau das dieses Buch aus. Dadurch wirkt es echt und beschert einem beim Lesen die unterschiedlichsten Emotionen.

"Sunyas Mum mag mich nicht, und Dad mag Sunya nicht. Aber die beiden müssen ja nicht immer recht haben, nur weil sie erwachsen sind." (Seite 217)

Es ist eins dieser Bücher, bei dem ich zig tausend Wörter schreiben könnte, aber auf der anderen Seite genau weiß, das weniger manchmal mehr ist.

Ein kleines Buch mit einer großen Botschaft. Man muss sich aber Zeit für dieses Buch nehmen. Ansonsten könnte man diese Botschaft leicht überlesen.