Rezension

Ein erschütterndes Buch zu Seenotrettung im Mittelmeer und Flucht nach Europa

Grenzlandtage - Antonia Michaelis, Peer Martin

Grenzlandtage
von Antonia Michaelis Peer Martin

Bewertet mit 5 Sternen

Jule hatte sich eigentlich auf zwei Wochen Urlaub mit ihrer besten Freundin gefreut. Doch nun ist diese krank und sie muss alleine ihre Reise auf die griechische Insel antreten. Der Ort wirkt wie das reinste Urlaubsparadies, doch dann begegnet sie einem Jungen mit verbundenen Händen und alles ändert sich.

Dieses Buch ist so ein Buch, bei dem man irgendwann seinen europäischen Pass verflucht und sich die eigenen Privilegien als EU-Bürger*in bitter bewusst wird. Es geht um Seenotrettung im Mittelmehr (oder eben ihre Abwesenheit), um Ertrinken, um Flucht, um Abschiebung, um die Zustände in den unterschiedlichen Ländern und um die Verteilungsverfahren. Wut, Ohnmacht und Fassungslosigkeit waren nur einige der Gefühle, die ich beim Lesen empfand.
Die vielen Tode im Mittelmeer bekommen ein Gesicht und werden in diesem fiktiven Werk real.

Antonia Michaelis und Peer Martin haben beide einen ungewöhnlichen, poetischen Schreibstil, der hier in diesem Buch perfekt harmoniert. Wie in vielen Büchern von Antonia Michaelis wirkt Jule manchmal naiv, verträumt, idealistisch, aber nicht zwingend auf eine anstrengende Art.
Zu ihrer Sicht kommt zwischendurch die des Jungen hinzu. Und natürlich könnte man argumentieren, dass ihr Zusammentreffen und die Entwicklung in dieser Form nicht zwingend realistisch sind, aber es eröffnet einen Raum der Möglichkeiten, der die Realität zerschmettert. Es ist eine Geschichte der Hoffnung, der Verzweiflung, es ist ein Märchen, das wie eine Metapher für das steht, was man sich wünscht, was aber nicht ist, und doch orientiert es sich an Tatsachen. Entscheidungen wirken nicht immer rational, aber darum geht es nicht. Es ist ein Jugendbuch, das sich eines brandaktuellen, aber viel verschwiegenen Themas annimmt. Das die Geschichte einer deutschen Abiturientin erzählt, die aus ihrer privilegierten Welt rausgerissen wird und ohnmächtig diesem ungerechten Phänomen gegenübersteht, und eines Jungen, der zu viel verloren hat, zu erwachsen geworden ist und doch die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben hat. Und es ist die Geschichte, die zeigt, dass Seenotrettung kein Verbrechen, sondern Menschlichkeit ist.