Rezension

Ein etwas anderes Buch

Beim Ruf der Eule - Emma Claire Sweeney

Beim Ruf der Eule
von Emma Claire Sweeney

Worum geht es

Maeve Maloney ist über Achtzig aber sie führt noch immer ihre kleine Pension im englischen Küstenort Morecambe, wo sie behinderte Menschen willkommen heißt. Die täglichen Aufgaben und das Bewirten der Gäste nehmen sie komplett in Beschlag, bis kurz vor Weihnachten auf einmal Vincent Roper vor der Tür steht. Ein Freund aus Maeves Jugendzeit und gleichzeitig der einzige, der noch ihre Zwillingsschwester Edith kannte, die an einer starken Behinderung litt. Vincent bringt die Schatten der Vergangenheit mit und Maeve ist gezwungen sich dieser nun endlich zu stellen.

Was ich über das Buch denke

Cover und Titel des Buches haben mich aufmerksam werden lassen. "Beim Ruf der Eule" klang für mich geheimnisvoll und irgendwie nach etwas nicht Alltäglichem.
Dies hat sich auch für mich während des Lesens bestätigt. Das Buch thematisiert das Leben von behinderten Menschen und zeigt, wie unterschiedlich Menschen damit umgehen, wenn sie auf einmal mit einer Behinderung konfrontiert werden.

Die Zwillinge Edith und Maeve werden in den Dreißiger-Jahren geboren, aber während Maeve ganz normal ist, stellen die Ärzte bei Edith starke körperliche und geistige Beeinträchtigungen fest. Die Geschichte zeigt sehr deutlich die damalige Haltung, dass Menschen, die anders sind, besser in eine Anstalt abgeschoben gehören. Das die Familie Maloney sich dafür entscheidet, Edith mit viel Liebe zu Hause groß zu ziehen, bringt ihnen nicht nur Befürworter.

Die Autorin arbeitet sehr gut heraus, wie groß die Verantwortung ist, die auf Maeve lastet, da sie sich viel um ihre Schwester kümmern muss und eigentlich nie hundertprozentig nur ihr eigenes Leben lebt. Als Leser spürt man Maeves Zerrissenheit gut. Immer öfter muss sie zwischen ihren eigenen Wünschen und Träumen und der Liebe zu ihrer Schwester und dem Pflichtgefühl sich um sie zu kümmern, entscheiden.
All das dürfte auch ihren Charakter geprägt haben, denn Maeve ist,  als Hauptfigur des Buches, definitiv nicht einfach und es braucht Zeit, sie ins Herz zu schließen.

Die Achtzig-Jahre alte Maeve wirkt oft ruppig und unnahbar und scheint von den Menschen in ihrer Umgebung wenig zu halten und sich schwer zu tun, liebevolle Beziehungen aufzubauen. Mit dem fortschreiten der Erzählung kann man als Leser aber durchaus nachvollziehen, warum Maeve so ist, wie sie ist – eine etwas verbitterte alte Frau, die vielen verpassten Gelegenheiten nachweint, ohne zu merken, dass sie eigentlich bereits alles hat, was sie sich wünscht. Dies ist auch eine der Botschaften des Romans.

Eine sehr schöne Nebenhandlung bilden Len und Steph, die bei Maeve in der Pension arbeiten. Beide haben das Down-Syndrom aber sie lieben sich und möchten ihre Liebe auch gern zusammen leben. Ihr Kampf um etwas Autonomie, trotz ihrer Behinderung und die Sicht der Behörden, bilden den Gegenpol zur Geschichte in der Vergangenheit.
Mit Edith in der Vergangenheit und Len und Steph in der Gegenwart zeigt die Autorin wunderbar die Entwicklung, die die Gesellschaft im Umgang mit Behinderten vollzogen hat.

Eine Besonderheit des Buches ist sein Erzählstil. Die Geschichte spielt in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Beides geht jedoch fließend in einander über und ist nicht separat gekennzeichnet. Sich an diese Art des Erzählens zu gewöhnen, ist zu Beginn nicht einfach und kann den Lesefluss hemmen. Aber es passt zur Stimmung des Buches und zwingt einen, dieses Geschichte sehr aufmerksam und intensiv zu lesen. Maeve erzählt in der Ich-Form, was gerade in der Gegenwart passiert aber schweift gleichzeitig immer wieder mit ihren Gedanken in die Vergangenheit und erinnert sich an Ereignisse aus ihrer Kindheit und Jugend. Diese Erinnerungen sind nicht chronologisch, was es manchmal erschwert, der Geschichte zu folgen. Man könnte das Ganze auch wie eine Art Gedankentagebuch von Maeve empfinden.
Die Erzählung wird an mehreren Stellen durch Briefe und Berichte von Ärzten oder Sozialarbeitern unterbrochen.

Auch Edith kommt zu Wort und es ist passend, das die Autorin für sie einen sehr abgehackten, kindlichen Sprachstil verwendet. Edith kann sich auf Grund ihrer geistigen Behinderung nur sehr schwer artikulieren. Das wird in ihren kurzen Absätzen deutlich und unterstreicht gleichzeitig das Bedürfnis der Autorin, behinderte Menschen gleichberechtigt zu behandeln.

Mein Fazit

Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen. Inhaltlich hebt sich "Beim Ruf der Eule" nicht nur durch seine Themenwahl von anderen Büchern ab, sondern auch durch seine Art des Erzählens. Dieser Schreibstil könnte allerdings von vielen Lesern als kompliziert empfunden werden und daher den Spaß an der Lektüre nehmen. Es ist ein sehr einfühlsames Buch, bei dem viel zwischen den Zeilen gelesen werden sollte.