Rezension

Ein etwas runderes Ende wäre wünschenswert gewesen

In einem Boot - Charlotte Rogan

In einem Boot
von Charlotte Rogan

Bewertet mit 3 Sternen

Kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges sinkt der Ozeandampfer "Zarin Alexandra". An Bord ist auch die frisch verheiratete Grace Winter. Ihr Mann Henry erkauft ihr einen Platz im Rettungsboot und bleibt selbst zurück. Das Warten auf Rettung wird in dem kleinen, bedenklich überfüllten Rettungsboot zur Überlebensfrage. Denn Sturm, Hitze, Durst und Hunger setzen den Passagieren zu. Obwohl sie sehnsüchtig erwartet werden, tauchen keine Schiffe am Horizont auf, die die Überlebenden aufnehmen könnten und so macht sich auf dem kleinen Boot die Gewissheit breit, dass nicht alle überleben können. Doch wer opfert freiwillig sein eigenes Leben, um das der anderen zu retten? Grace Winter gerät dabei unweigerlich zwischen die Fronten und muss sich am Ende dieser Odyssee vor Gericht verantworten.....

Covergestaltung, Buchtitel und Inhaltsbeschreibungen sind gut aufeinander abgestimmt und wecken die Hoffnung auf ein fesselndes Leseabenteuer, bei dem man den Überlebenskampf der Hauptprotagonistin Grace beobachtet. Genau diese Geschichte erzählt die Autorin auch, doch ganz anders als erwartet.

Denn von Anfang an ist klar, dass Grace das Unglück überleben und des Mordes angeklagt wird. Die Frage, ob Grace die richtigen Entscheidungen treffen und überleben wird, ist damit also geklärt. Dennoch ist die Erzählung interessant und entwickelt stellenweise eine sogartige Wirkung. Denn man stellt sich beim Lesen die Frage, welche dramatischen Szenen sich wohl auf dem Rettungsboot abspielen werden, die letztendlich dazu führen, dass Grace sich vor Gericht verantworten muss.

Die Autorin verwendet eine sehr distanzierte Erzählweise. Grace schreibt die Eindrücke, die sie während der 21 Tage bis zur Rettung gesammelt hat, in einem Tagebuch für ihre Anwälte nieder. Diese Rekonstruktion soll Grace vor Gericht entlasten. Damit beobachtet man die Szenen also direkt aus der Sicht von Grace. Sie lässt dabei allerdings keinen Blick hinter ihre Fassade zu, sondern berichtet distanziert und relativ emotionslos von den Geschehnissen an Bord. Dadurch fällt es nicht gerade leicht, Sympathien für sie aufzubauen. Denn stellenweise wirkt sie sehr berechnend und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Doch kann man ihr das zum Vorwurf machen? Eine falsche Entscheidung hätte ihren Tod bedeutet. Der Erzählstil wirkt durch die gewählte Perspektive zunächst etwas veraltet, denn Grace berichtet in ihren eigenen Worten von den Ereignissen. Da diese sich allerdings im Jahre 1914 zugetragen haben, passt der Stil sehr gut zum Geschehen und spiegelt den damaligen Zeitgeist wider. Eine umfassende Gesamtübersicht über alle Ereignisse an Bord des kleinen Rettungsbootes fehlt durch die eingeschränkte Sicht von Grace allerdings. Denn sie selbst kann nur das berichten, was sie erlebt und wahrgenommen hat. Dadurch verdrängt man beim Lesen allerdings, wie viele Personen sich tatsächlich im Rettungsboot befinden und wo genau sie sitzen. Das erschwert die eigene Vorstellungskraft, da man ein deutlich kleineres Boot mit einer begrenzteren Anzahl an Passagieren vor Augen hat.

21 Tage bis zur Rettung sind eine lange Zeit. Es kommt zu dramatischen Szenen und folgenschweren Entscheidungen. Hunger, Durst, Mutlosigkeit und Verzweiflung machen sich verständlicherweise breit. Das Boot ist überladen, Wasser dringt ständig ein und die Gefahr unterzugehen ist allgegenwärtig. Sturm, Regen, Kälte - aber auch gnadenlos sengende Hitze erschweren das Überleben auf dem Boot. Die Lage spitzt sich dramatisch zu, denn die Passagiere sind sich stets bewusst, dass nicht alle überleben werden. Doch wer opfert sich freiwillig und sichert damit das Überleben von Menschen, die man vorher nicht kannte und die einem selbst nichts bedeuten? Diese Frage schwebt ständig über dem Boot, denn man verfolgt gebannt, wen es als nächsten treffen wird. Dadurch ist die Atmosphäre düster und angespannt. Durch Gerüchte, die an Bord durch aller Munde gehen, stellt man sich beim Lesen die Frage, was wohl zum Untergang geführt hat und welche Bedeutung das für die Erzählung hat.

Gespannt verfolgt man die Gerichtsverhandlung und die Dinge, die dort noch ans Tageslicht kommen. Dennoch bleibt einiges unausgesprochen und Antworten auf Fragen, die man sich an Bord des kleinen Rettungsbootes gestellt hat, gibt es kaum. Beim Zusammenklappen des Buchs bleibt deshalb ein etwas ratloses Gefühl zurück. Ein etwas runderes Ende wäre wünschenswert gewesen.

Insgesamt gesehen habe ich mich allerdings größtenteils sehr gut unterhalten. Die Schilderungen von Grace konnten mich fesseln, sodass ich unbedingt erfahren wollte, was noch an Bord passieren wird. Ihre distanzierte und relativ emotionslose Sicht auf die Dinge kann ich ihr nicht zum Vorwurf machen. Denn wenn ich selbst an ihrer Stelle gewesen wäre, dann hätte ich meine Gefühle und Ängste sicher auch nicht den Anwälten und dem Gericht preisgegeben, und für diesen Zweck war die Rekonstruktion der Ereignisse ja schließlich gedacht. Da ich mir allerdings vom Ende deutlich mehr erhofft hatte, kann ich mich doch "nur" zu drei Bewertungssternchen durchringen.