Rezension

Ein ganz großer Wurf

Das Floß der Medusa
von Franzobel

Bewertet mit 5 Sternen

Was für ein Buch! Ein Buch über eine Katastrophe, die tatsächlich passiert ist. 
Im Juni 1816 lief die Fregatte Méduse kurz vor der afrikanischen Küste auf Grund. Wie es dazu kommen konnte, wird hier tatsächlich unterhaltsam und sehr nachvollziehbar erzählt. 
Ein unerfahrener Kapitän mit Adelstitel mit einem Hochstapler als Berater, setzt lieber ein großes Segelschiff in den Sand, als auf die erfahrene Besatzung zu hören. Da setzt sich die französische Revolution im Kleinen fort. Während die „Regierung“ auf Überlegenheit durch Geburtsrecht pocht, muss „das Volk“ unter deren willkürlichen Entscheidungen leiden.

Wunderbar humorvoll, mit vielen aktuellen Bezügen, erzählt Franzobel von diesem Unglück und auch wenn er lustig vor sich hin scherzt, ist die Atmosphäre plastisch, die Figuren höchst lebendig. Man ist dabei, spürt den Wind und das Schwanken des Schiffs, ekelt sich vor Salzfleisch aus dem Fass und leidet mit Viktor, dem Küchenjungen, der schikaniert wird. Auf dem Schiff herrschen raue Sitten. Bisweilen meint man fast, jetzt übertreibt er es mit den Grausamkeiten, fängt an zu googeln und stellt fest: Tatsächlich, das ist nicht unrealistisch.

Es sind nicht genügend Rettungsboote vorhanden. 147 Menschen werden auf einem schnell zusammengezimmerten Floß im Meer ausgesetzt. 15 davon kommen an. Hier wird dann die ohnehin schon grausame Geschichte unfassbar ekelhaft. Und auch wenn man kaum glaubt, was man da liest, ist es allerhöchst nachvollziehbar. So mag es sich abgespielt haben. 

Mit diesem Buch setzt Franzobel neue Maßstäbe für historische Romane. Mit leichter Hand und bitterböser Ironie erzählt er von einer historischen Tragödie, beleuchtet schonungslos die Dekadenz und Arroganz der herrschenden Klasse und lässt einen dabei immer wieder dezent in die Gegenwart blicken. Vergleiche zu ignoranten Despoten andernorts drängen sich auf. 
„Das Floss der Medusa“ ist ein ganz besonderes Buch, das es schafft, trotz erschütternder Thematik zu amüsieren und zu unterhalten. Man schwankt beim Lesen zwischen tiefstem Ekel und tiefster Bewunderung. 
Ein ganz großer Wurf. Von mir bekommt es den Buchpreis.

Kommentare

LySch kommentierte am 05. Oktober 2017 um 21:59

Wow, das ist eine schlichte, aber aussagekräftige Rezi!! Sehr schön! Und macht richtig neugierig. Das Buch würde ich auch gerne noch lesen...!

katzenminze kommentierte am 12. Oktober 2017 um 20:50

"Man schwankt beim Lesen zwischen tiefstem Ekel und tiefster Bewunderung."

Thats it. :) Kann ich so unterschreiben deine Rezi! Sehr schön.

yvy kommentierte am 15. Oktober 2017 um 17:05

Sehr schöne Rezension. Auf den Punkt.