Rezension

ein gelungener Erwachsenenroman

The Casual Vacancy - J. K. Rowling

The Casual Vacancy
von J. K. Rowling

Als Barry Fairbrother plötzlich stirbt, ist in seiner Heimatstadt Pagford nichts mehr, wie es war. Barry war in der Gemeinde ausgesprochen aktiv, hat sich für das örtliche Problemviertel 'the Fields' eingesetzt, war in jeder Hinsicht ein vorbildlicher Bürger. Freunde und Verwandte, Gegner und Verbündete, Unterstützer und Unterstützte - Gutmensch Barry hinterlässt in seinem Umfeld eine ziemlich große Lücke. So auch im Gemeinderat, wo um den durch Barrys Tod frei gewordenen Sitz bald ein erbitterter Kampf beginnt.

Die Story wird aus der Perspektive ganz unterschiedlicher Charaktere erzählt - von Anwalt Miles und seiner chronisch unzufriedenen Frau Sam über die aus London zugezogene Sozialarbeiterin Kay bis hin zu Teenager Krystal, die aus einer der Problemfamilien in 'the Fields' stammt - beim Lesen lernt man Menschen aus allen sozialen Schichten der Stadt kennen, und durch diese Vielfalt wird Pagford nach und nach lebendig. Wirklich sympathisch sind die wenigsten der Figuren, und so richtig glücklich (oder zumindest einigermaßen zufrieden) ist keine.

Die Sprache ist teilweise sehr derb (was offenbar einige Leser etwas geschockt hat - von der Autorin der Harry Potter-Bücher erwartet man so etwas eben nicht), aber sie passt immer perfekt zu dem Umfeld, das gerade beleuchtet wird. In einem Buch, dessen Figuren teilweise aus sozial schwachen und sehr schwierigen Verhältnissen stammen (Drogen, Gewalt, Kleinkriminalität, Prostitution usw.), sollte man sich über das Fehlen jeglicher Romantik, mangelhafte Grammatik und zahlreiche (teils sehr vulgäre) Kraftausdrücke nicht wundern. Rowling zielt mit ihrem Roman in jeder Hinsicht auf absolute Realitätsnähe ab, und ich zumindest finde, dass ihr das auch sprachlich gut gelungen ist. Natürlich darf man "The Casual Vacancy" nicht mit Harry Potter vergleichen - dort wäre die Sprache in der Tat völlig fehl am Platz. Nur: Krystal ist keine entzauberte Version von Hermione, und auch wenn die Weasleys in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben: 'the Burrow' hat mit 'the Fields' absolut nichts gemeinsam.

All das klingt nicht gerade nach einem Wohlfühlroman mit gute-Laune-Garantie - ist es auch nicht, ganz im Gegenteil. Und trotzdem habe ich das Buch zu meiner eigenen Überraschung ausgesprochen gern gelesen. Es ist exzellent geschrieben und bietet eine ganze Reihe glaubhafter Charaktere mit interessanten Geschichten. Tatsächlich gab es keine einzige Erzählperspektive, die ich nicht mochte - und das, obwohl mir einige der Figuren wirklich von Herzen unsympathisch waren. J. K. Rowling hat sich mit diesem Roman so weit von Harry Potter entfernt wie nur möglich: er ist nichts für Jugendliche, hat mit Fantasy absolut nichts zu tun, es gibt keine eindeutige Grenze zwischen Gut und Böse, und wer auf ein Happy End hofft, der hofft vergeblich. Das ist sicher nicht jedermanns Sache, und einen (großen?) Teil ihrer alten Fans wird Rowling mit Romanen wie diesem wohl eher verschrecken, aber mich zumindest hat "The Casual Vacancy" beeindruckt und wirklich begeistert. Es gibt also ein Schriftstellerleben nach Hogwarts - wer hätte das gedacht?!