Rezension

Ein Gentleman in Moskau

Ein Gentleman in Moskau - Amor Towles

Ein Gentleman in Moskau
von Amor Towles

Bewertet mit 5 Sternen

Graf Alexander Rostov ist nach der Revolution zurückgekehrt ins geliebte Russland, obwohl von dem Land, das er einst kannte, nicht mehr viel übriggeblieben ist. Kaum angekommen wird er verhaftet und verurteilt, jedoch nicht zu Tode wie so viele andere Adlige, sondern zu Hausarrest im Moskauer Hotel Metropol. Dort wird er die nächsten Jahrzehnte verbringen und die Entwicklungen des Landes nahe des politischen Zentrums, aber doch in einer kleinen Enklave, genau beobachten. Mag das Leben sich außerhalb der Hotelmauern noch so sehr weiterentwickeln, Alexander Rostov bleibt der Gentleman, der er immer war. Trotz kommunistischer Herrschaft behält er den Habitus des Grafen und man begegnet ihm entsprechend, auch wenn er die Privilegien der Aristokratie formal schon längst ablegen musste. Neben dem Personal des Hotels sind es vor allem zwei Mädchen, die ihn im Laufe der Zeit begleiten. Zunächst Nina Kulikowa, die mit wachem Verstand und ziemlich einsam den Mikrokosmos und die Welt erkundet. Später deren Tochter Sofia, die Rostov nahezu wie seine eigene Tochter großzieht.

 

Amor Towles entführt den Leser in eine fremde, längst vergangene Welt. Auch wenn 1922 zu Beginn des Romans das russische Zarenreich längst begraben ist, lebt dies doch in seinem Protagonisten weiter. Alexander Rostov hat alles, was man von einem Adligen seines Standes erwarten würde: sein Habitus, seine Weltgewandtheit, seine Werte – eigentlich ist all dies völlig fehl am Platze im neuen Sowjetreich, aber man kann die Menschen innerhalb weniger Jahre kaum gänzlich umgewöhnen und so begegnen die Figuren Rostov wie sie auch vor der Revolution seiner sozialen Schicht begegneten. In seinen Erinnerungen lebt diese Zeit immer wieder auf und lässt so einen Blick auf das zaristische Sankt Petersburg zu. Jedoch ist es vor allem die stalinistische Herrschaft, die den Rahmen setzt und Rostovs ungewöhnliches Gefängnis manifestiert. Die Gäste tragen die Ereignisse von draußen ins Hotel, am Beispiel der Schauspielerin Anna wird die Not verdeutlicht, mit der man sich entweder anpassen musste oder die Träume von der Karriere ein schnelles Ende fanden. Die große Politik bleibt weitgehend vor den Türen des Hotels, doch immer wieder finden sich Anspielungen und auch offene Worte zum Umgang der Kommunisten mit dem Erbe des Landes.

 

Besonders sympathisch wird die Handlung jedoch, wann immer auch der Graf sich mit der jungen Nina oder ihrer Tochter Sofia einlässt. Ungewohnt und ungelenk im Umgang mit Kindern behandelt er sie wie Erwachsene und erliegt dem Charme der Mädchen sogleich. Respektvoll erzieht er sie und weckt ihre Neugier auf die Welt, seine eigenen Erfahrungen und Werte kann er völlig ungeplant und doch erfolgreich weitergeben und beide zu starken jungen Frauen heranwachsen lassen. Ebenbürtig diskutieren sie die großen und kleinen Geschehnisse und zeigen so eine Seite an Rostov, die unerwartet aber unheimlich liebenswürdig ist.

 

Getragen wird der Roman jedoch von einem Erzähler, der es sich nicht nehmen lässt in kleinen Spitzen zu kommentieren oder auch mal den Leser direkt zu adressieren. Ein lebendiger Plauderton lässt die Jahrzehnte wie im Flug vorübregehen und einem beim Lesen immer wieder schmunzeln. Die höfliche, zurückhaltende Art des Gentleman Rostov spiegelt sich im Erzählton wunderbar wieder, überdeckt aber nie völlig den darunter befindlichen scharfen Verstand, der analytisch und mit bemerkenswerter Beobachtungsgabe das Treiben im Hotel erfasst.

 

Mit „Ein Gentleman in Moskau“ hat Amor Towles einen wundervollen Roman geschaffen, in dem Handlung und Ton stimmig zusammenfinden. Eine Geschichte voller Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, der die wahre Größe eines Mannes mit Werten und einem großen Herzen oft bezaubernd in Worte fasst.