Rezension

Ein grandioses, wichtiges Buch!

Des Lebens labyrinthisch irrer Lauf - Heike Wolf

Des Lebens labyrinthisch irrer Lauf
von Heike Wolf

Bewertet mit 5 Sternen

Das Leben der Schönaus 1935 - 1957

Von Natur aus bin ich beim zweiten Teil eines Familienromans etwas skeptisch: kann die Autorin den hohen Standard des 1. Buches „Bürgerin aller Zeiten“ beibehalten? Aber hier waren meine Sorgen vollkommen unbegründet…

Auch mit Band 2 ist der Autorin Heike Wolf ein großartiges Werk gelungen: mit Sachlichkeit, Empathie, intensiver Recherchearbeit und in einem wundervollen, eindringlichen Schreibstil leitet sie uns Leser gekonnt durch die Zeit von 1935 bis 1957. Wir dürfen wieder regen Anteil am Leben der Familie Schönau in Leipzig nehmen.

Die drei bekannten Schönau-Kinder haben sich vollkommen unterschiedlich entwickelt (ja, so etwas kommt in den besten Familien vor): Lotte hat geheiratet und versucht mit allen Mitteln ihre Familie vor der Außenwelt zu schützen und geht deshalb häufig den Weg der drei Affen („Nichts, sehen, nichts hören, nichts sagen“), Dorchen schlägt nach leidvollen und teils traumatischen Erfahrungen einen vollkommen anderen Weg ein und Heinrich hat seine politische Heimat in der NSDAP gefunden und macht Karriere bei der SS.

Wir erleben die Geschichte wieder durch die Hauptprotagonistin Lotte, ihr Mann Richard teilt uns seine Gedanken und Erfahrungen durch Gespräche entweder mit Lotte, Dorchen oder anderen (besonders erwähnenswert finde ich hier ein Gespräch mit seinem Schwiegervater Wilhelm 1941, S. 210 ff) oder durch Briefe mit. Sehr betroffen war ich von einem Brief aus dem „Kessel von Stalingrad“, von dem Richard weiß, dass er nicht durch die Zensur gehen wird, u.a. schreibt er: „Der Kessel wird immer enger und wie es enden wird, ist abzusehen. Ich weiß, was man Euch erzählt – Heldenmut, Opferbereitschaft, Kampf bis zum Letzten. Glaub‘ es nicht. Wir sind keine Helden. Wir kämpfen, weil wir keine andere Wahl haben und weil der Größenwahnsinnige, der gemütlich und sicher in seiner warmen Wolfsschanze sitzt, beschlossen hat, dass Rückzug nicht in Frage kommt. Ganz gleich, was Du hören wirst, wir wurden eiskalt geopfert und im Stich gelassen.“ (S. 243)

Bei den Bombennächten von Leipzig sind wir an Lottes Seite, kämpfen uns mit ihr durch die zerstörte Stadt, sorgen uns um Richard, mit ihren Augen sehen das Einrücken der Besatzungsnächte, zuerst die Amerikaner, dann die Russen, erleben die Repressalien „der Russen“ in der Zeit bis zur Gründung der DDR, hören von der Staatsideologie der DDR – schlichtweg: wir nehmen teil an ihrem Leben, wie bei einer guten Bekannten.

De Rahmenhandlung beider Bücher ist die Vorbereitung und Durchführung von Lottes 80.Geburtstag am 9.November 1989 – ein geschickter Coup der Autorin, gerade dieses Datum zu wählen.

Geschichtsinteressierte Leser kennen vermutlich die reinen Fakten der „dunkelsten Zeit deutscher Geschichte“, aber durch den Roman von Heike Wolf nehmen wir persönlich und intensiv Anteil, fühlen uns „inmitten“ dieser wichtigen Zeit, die auch für uns „mit der Gnade der späten Geburt“ nicht vergessen sein darf.

Wilhelm Schönau ist ein großer Goethe-Fan (wie man heute sagen würde), die Autorin offensichtlich auch, da beide Bücher Goethe-Zitate zum Titel haben, deshalb werde ich hier auch mit einem Goethe-Zitat enden: „Schreibe nur wie du reden würdest, und so wirst Du einen guten Brief schreiben.“ (Brief an Cornelia Goethe, 7.12.1765). Dies hat Heike Wolf wohl sehr verinnerlicht, aber sie hat das Zitat sehr weit übertroffen: sie hat zwei ausgezeichnete und hervorragende Bücher verfasst, für die ich eine absolute Leseempfehlung geben muss!