Rezension

Ein grausames Buch, das mich deprimiert hat

Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek - David Whitehouse

Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek
von David Whitehouse

Bewertet mit 2 Sternen

Ich sehe schon jetzt, dass diese Rezension einen empörten Aufschrei auslösen wird, weil es ja so ein "wunderbares" und "bezauberndes" Buch ist, aber ich sehe mich trotzdem nicht in der Lage, anders zu beurteilen, denn das ist es, was ich empfunden habe. Und ich sag's gleich vorneweg: Ich bin froh, dass ich durch bin.

Worum geht's? Erst einmal: Es geht nicht um eine "Reise". Eine Reise suggeriert normalerweise etwas, das man freiwillig, vielleicht sogar gern tut. Das ist hier nicht der Fall. Besser wäre der Titel "Die Flucht mit der gestohlenen Bibliothek", denn nichts anderes haben wir hier. Alle in diesem Buch sind auf der Flucht.

Bobby Nusku, der 12jährige Junge, vor seinem brutalem Vater.
Val Reed, die Frau, samt ihrer Tochter vor den bösartigen Nachbarn und deren noch bösartigeren Gerüchten.
Joe Wiles, der Exsoldat,  vor dem Schicksal und dem Gefängnis.
Doch sie sind nicht die Einzigen, die ihr Päckchen zu tragen haben. In dieser Lektüre gibt es keinen einzigen Menschen, dem es nicht irgendwie schlecht geht. Glücklich sind hier nur der Hund und vielleicht der Papagei.

Bobby Nusku ist ein seltsamer Junge. Seit seine Mutter verschwunden ist, lebt er bei seinem Vater und dessen wasserstoffblonder Freundin. Sein Vater ist extrem brutal, der schlägt ihn auch schon mal mit dem Gürtel so grün und blau, dass er Bobby eine Woche lang nicht zur Schule gehen lässt, damit niemand die Spuren sieht. Bobby hat einen besten Freund, Sunny, der ihn beschützen und sich deshalb zum Cyborg umbauen will. Um das zu erreichen, lässt er Bobby auf sein ausgestrecktes Bein springen und es brechen, er lässt ihn mit dem Vorschlaghammer seinen Arm zerschmettern, er lässt sich von Bobby ein Gerüst runterstürzen und den Schädel zermalmen. Ist das krank oder ist das krank? Ich meine, mit 12 ist man kein Baby mehr und glaubt garantiert nicht daran, dass man zum Cyborg umgebaut werden kann. Mir haben diese Stellen mehr als nur Unbehagen bereitet, mir ist regelrecht schlecht geworden. Genauso, als Bobby flüchtet und dafür sorgt, dass sein Vater sich eine Schere in den Oberschenkel rammt oder sich mit Spiritus an drei Mobbern rächt. Das ganze Buch trieft nur so vor (nicht sonderlich unterschwelliger) Brutalität und Grausamkeit. Vielleicht bin ich ja zu sensibel für diese Art von Lektüre.

Bobby hat sich mit Rosa, einem autistischem Mädchen, und deren Mutter Val angefreundet. Als das Gerücht aufkommt, dass Val ihn missbraucht (zur selben Zeit, als Bobby mal wieder halb totgeschlagen wird), beschließen sie, mit dem Bücherbus abzuhauen, in dem Val als Putzfrau arbeitet. Sie machen sich also auf einen Roadtrip quer durch England und bis nach Schottland, immer auf der Flucht vor der Polizei, die Val als Kidnapperin sucht. Sie treffen auf einen weiteren Flüchtling, Joe, und machen einen auf Familie. Wie es endet, ist kein Geheimnis, denn das Ende ist zugleich auch der Beginn des Buches.

Die erste Hälfte des Buches war für mich fast unerträglich zu lesen. Da werden Knochen gebrochen und Schädel zerschmettert, da werden Kinder geprügelt, da wird mit Spiritus einem Jungen fast das Augenlicht geraubt, Scheren in Oberschenkel gerammt, Unfälle sorgen für blutdurchtränkte Kleidung, eine einzige Aneinanderreihung von Gewalt. Die zweite Hälfte wurde in der Hinsicht besser. Allerdings fragte ich mich ständig, wie blöd die Polizei war, dass sie den Bus nicht finden konnte. Mal davon abgesehen, dass er erst später übermalt wurde, musste Val ja regelmäßig tanken (und wie bitte konnte sie sich das überhaupt leisten mit ihrem Putzfrauenlohn?). Die haben genügend Geld zum Tanken des riesigen Busses, die gehen regelmäßig essen, kaufen Essen, besorgen sich Sachen ... in England müssen Putzfrauen, die einmal pro Woche einen Bus reinigen, echt unermesslich gut verdienen.

Der Schreibstil selbst war hervorragend. Der Autor ist in der Lage, mit Worten zu spielen, ihnen Bedeutung zu verleihen, sie zu benutzen, ohne in Phrasen zu fallen. Das ändert allerdings nichts daran, dass der Inhalt der Geschichte keineswegs Hoffnung vermittelt, denn jeder kann sich denken, wie es ausgeht, ganz egal, was suggeriert wird.

Fazit: Eine Geschichte, deren außergewöhnliche Sprache nicht über den deprimierenden und teilweise absurden Inhalt hinwegtäuschen kann.