Rezension

Ein großartiger Coming-of-Age-Roman...

Der große Sommer
von Ewald Arenz

Bewertet mit 5 Sternen

Eine großartige Coming-of-Age-Geschichte - warmherzig und behutsam, authentisch und glaubwürdig, ein weiteres Jahreshighlight für mich...

Ein Mann, Friedrich, läuft über einen Friedhof und fragt sich, wie er zu dem geworden ist, der er heute ist: Alles beginnt damit, dass er mit 16 Jahren in die Nachprüfungen muss, um versetzt zu werden. Das heißt, kein Urlaub mit der Familie. Als sei das nicht schon schlimm genug, verdonnert ihn seine Mutter zum Lernen mit dem Großvater. Frieder ist entsetzt: ausgerechnet mit dem Großvater, den er bis vor ein paar Jahren noch siezen musste! Sein einziger Trost ist Nana, seine Großmutter. Und Beate, das Mädchen in dem flaschengrünen Badeanzug, das er an einem der letzten Tage vor den Ferien im Schwimmbad kennengelernt hat. Allen schrecklichen Ahnungen zum Trotz lernt er seinen Großvater in den darauffolgenden Wochen mit neuen Augen zu sehen, erfährt von der Liebesgeschichte der Großeltern und erlebt selbst die erste große Liebe. Ein perfekter Sommer, wäre da nicht sein bester Freund Johann, meist souverän und cool, tatsächlich aber ein komplizierter Mensch.

Ewald Arenz zählt zu den Autoren, die ich immer schon einmal lesen wollte. Sei es ‚Alte Sorten‘, ‚Der Duft von Schokolade‘ oder ‚Ehrlich und Söhne‘ – jedes Mal wenn ich auf eine Rezension zu diesen Büchern stieß, dachte ich: ach ja, da war doch noch was. Wie es immer so geht, verlor sich das Vorhaben in den Untiefen der endlosen Wunschliste, und um so glücklicher bin ich, dass ich nun diesen neuen Roman des Autors lesen durfte!

‚Der große Sommer‘ gehört zu den Erzählungen, bei denen man mit fortschreitender Lesedauer immer langsamer liest, damit sie sich nicht so schnell dem Ende zuneigen, von denen man aber gleichzeitig auch nicht die Finger lassen kann, weil man unbedingt wissen möchte, was noch alles geschieht, wie das Ende aussieht und was das für die Zukunft der handelnden Charaktere bedeutet. Eine Crux, die sich nicht auflösen lässt, bei der letztlich nur der Trost bleibt, dass man das Buch irgendwann ja noch einmal lesen kann.

Zum Inhalt möchte ich an dieser Stelle nicht mehr verraten als der Klappentext, denn alles andere lohnt sich selbst zu entdecken. Der 16jährige Frieder ist der Hauptcharakter des Romans, und sein Sommer verläuft definitiv anders als er erwartet hat. Seine Versetzung ist gefährdet, und sollte er die Nachprüfung nicht bestehen, muss er die Schule verlassen. Aus seiner Ich-Perspektive erhält der_die Leser_in einen Einblick in Frieders Leben, in seine Familie, in seine Freundschaften, seine Vorlieben und Abneigungen, seine Gedanken und Gefühle – und vor allem in diesen einen großen Sommer.

Dabei gelingt es dem Autor, den Charakter differenziert darzulegen, authentisch in seinen Handlungen und Reaktionen, ein normaler Junge in der Pubertät, kein Rebell, aber doch jemand, der gerne seinen Weg geht, der aber auch Werte hat und beispielsweise seine Familie zwar mit einem kritischen Auge betrachtet, dabei aber sehr loyal ist. Und dem Freundschaften wichtig sind – sowohl zu seiner ältesten Schwester als auch zu Johann, seinem besten Freund. Und später auch zu Beate, dem Mädchen in dem flaschengrünen Badeanzug, was aber nicht immer leicht ist – die große Liebe bedeutet gleichzeitig Schmetterlinge und Unsicherheit, Mut und Verzagtheit, Vertrauen und Verletzlichkeit, Zartheit und Enttäuschung, eben die ganze Gefühlspalette.

Bei diesem Roman weiß ich nicht genau, ob es mir gelingt, alle bedeutungsvollen Facetten im Rahmen dieser Rezension darzulegen. Vermutlich zieht auch jede_r Leser_in etwas anderes aus der Lektüre. Die Erzählung bietet einen Einblick in die unruhigen Jahre der Pubertät, nicht mehr Kind, aber eben auch noch nicht erwachsen, und die großen Unsicherheiten, die damit verbunden sind, das Auflehnen gegen die Regeln der Erwachsenen, die Suche nach sich selbst - und Ewald Arenz lässt durch das Einbeziehen der elterlichen und großelterlichen Ebenen auch die Bedeutung der Verwurzelung des eigenen Lebens mit der Familiengeschichte einfließen. So dargestellt klingt es recht nüchtern – ist es aber mitnichten. Ewald Arenz präsentiert hier eine warmherzige, einfühlsame Coming-of-Age-Geschichte, in die man nur zu gerne eintauchen mag.

Dabei sorgt der Autor für eine behutsame Balance zwischen Lachen und Berührung – ohne dass er das Drama zu sehr bemüht, obschon dieses hier auch eine Rolle spielt. Als besonderen Schachzug habe ich die kurzen, wiederholten Einblenden in die Gegenwart empfunden, bei denen der mittlerweile bereits betagte Frieder auf dem Friedhof gezeigt wird, wo er auf der Suche nach einer bestimmten Grabstelle ist, die er wenigstens einmal im Jahr aufzusuchen pflegt. Dabei wird nicht verraten, um wessen Grab es sich dabei handelt, und im Verlauf des Romans wachsen beim Lesen die Befürchtungen, wer dort begraben sein könnte. ‚Hoffentlich nicht…!‘, habe ich hier mehrfach gedacht. Dadurch entwickelte sich ungeahnt auch noch eine zusätzliche Spannung, was ich sehr gelungen fand.

Neben dem Hauptcharakter gibt es noch einige andere Charaktere, die hier eine große Rolle spielen, auf die ich an dieser Stelle aber nicht näher eingehen möchte. Nur den Großvater Frieders möchte ich hier noch herausstellen, denn dieser geriet vom distanzierten Unsympath zusehends zu einer Person, die nicht nur Frieder plötzlich immer mehr ins Herz schloss – und all das ohne dass es dabei ins Kitschige oder Unglaubwürdige abglitt. Auch solche Entwicklungen mag ich sehr, bieten solche Überraschungen doch das Salz in der Suppe.

Im Klappentext heißt es am Ende: ‚Ewald Arenz’ neuer Roman ist witzig, hellsichtig, berührend, klug, manchmal sehr traurig, aber immer beglückend.’ Ich finde, ein besseres Schlusswort gibt es nicht. Stimmt. Unbedingt.

Lesen!

 

© Parden