Rezension

Ein guter Titel ist schon die halbe Miete

Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei -

Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei
von Susanne Schmidt

Dass ein guter Buchtitel schon die halbe Miete ist, bewahrheitet sich leider nicht bei jeder Lektüre. Bei diesem Buch vermittelt der (meines Erachtens großartige!) Titel zunächst ein recht humorvolles Buch. Auch der Text auf der Buchrückseite verstärkt den ersten Eindruck nochmals. Man erwartet amüsante Anekdötchen aus dem Berufsleben einer langjährigen berliner Busfahrerin. Aber weit gefehlt. Man bekommt zwar durchaus Situationskomik geliefert, einen leichten Schreibstil, der literarisch trotzdem anspruchsvoll ist, aber hauptsächlich geht es hier um Unerwartetes. Susanne Schmidt berichtet nämlich ungeschönt von ihrem späten Berufseinstieg mit Mitte Fünfzig bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Die Leser*innen sind dabei, wenn die Autorin sich zur Bewerbung aufgrund einer Stellenoffensive der BVG speziell für "ältere Frauen" (außerhalb des gebärfähigen Alters) entscheidet. Sitzen mit am Tisch während der Auswahlgespräche. Drücken zusammen mit ihr die Schulbank, um in nur vier Monaten einen komplett neuen Beruf zu erlernen und begleiten sie weitere Monate in ihrem neuen Beruf als Busfahrerin in der chaotischen Millionenmetropole Berlin.

Frau Schmidt schreibt zu ihrem Berufseinstieg als Busfahrerin in einer der ersten "Frauenklassen" (übrigens um 2010!): "Plötzlich öffnete sich eine Tür in einen von Männern beherrschten öffentlichen Bereich, der die ganze Stadt betrifft, ja, ihr in gewisser Weise ein Gesicht gibt. [...] Wie sehr diese kleine Tür klemmt, dass niemand sie ölt, abhobelt, neu einhängt und weit öffnet, wussten wir da noch nicht." So werden konkrete Situationen in diesem "Männerberuf" geschildert, die jeder Frau(-enrechtlerin) und hoffentlich auch vielen Männern die Nackenhaare aufstellen lassen. Erschreckend.

Wie gesagt, erwartet hatte ich eine locker-leichte Lektüre. Ich wurde jedoch mit einer tiefgründigen, gesellschaftkritischen, sexismuskritischen, klugen und durchaus zwischendurch auch humorvollen Lektüre belohnt. Die Autorin schreibt wirklich mitreißend und literarisch auf hohem Niveau. Allein die Entscheidung des Verlags zum oben erwähnten Klappentext sowie der Sortierung letzten beiden Kapitel "Endstation - Das Fazit" und "Anhang" mindern die Qualität des Buches. Der Anhang enthält etwa erneut kleine Anekdoten und ausführlichere Gedankengänge zu einem Thema, was einfach nicht in einen Anhang gehört, sondern ein gesondertes Kapitel vor dem Fazit hätte sein müssen. Das Fazit macht die Lektüre rund und man geht definitiv klüger sowie verständnisvoller aus der Sache raus. Man wird danach zukünftig immer die Mittetüren freihalten. ;) Ein insgesamt durchweg lesenwertes wie auch empfehlenswertes Buch.