Rezension

Ein halbes Jahrhundert italienische Geschichte

Bella Ciao - Raffaella Romagnolo

Bella Ciao
von Raffaella Romagnolo

Bewertet mit 3.5 Sternen

O partigiano, portami via – O bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao – O partogiano, portami via – ché mi sento di morir.

Durch einige Jahrzehnte und zwei Kontinente muss man sich lesen bis der Buchtitel einen tieferen Sinn ergibt, dieser hat es dann aber in sich und das in zweifacher Hinsicht. Raffaella Romagnolos Roman ist ein dicht gewebter Erzählteppich, in den sie zwei italienische Familien miteinander über ein halbes Jahrhundert hinweg verstrickt. Den historischen Abriss über italienische Geschichte liefert sie gleich mit, bringt die bittere Armut der Bevölkerung um 1900 ins Spiel, die Folgen der industriellen Revolution, das Schicksal der ausgewanderten Landsleute nach Amerika, neue Rebsorten und fiese Schmarotzer und nicht zuletzt zwei Weltkriege, die auf beiden Seiten große Opfer fordern.

Die Hauptfiguren sind die zwei Freundinnen Giulia und Anita. Beide malochen seit sie 13 sind in der Seidenfabrik des Ortes und kämpfen zu Beginn der Handlung zusammen mit den anderen Arbeiterinnen in einem Streik um bessere Bedingungen während der Arbeit und eine gerechtere Entlohnung. Anitas Familie lebt ein Stück außerhalb auf einem kleinen Hof und bewirtschaftet in Pacht einige Weinberge. Es geht den Leones vergleichsweise ganz gut. Giulia hat nur noch ihre Mutter Assunta, ebenfalls Arbeiterin in der Fabrik, und ihren Verlobten Pietro. Verdienen sie kein Geld, fehlt es an allem von dem Wenigen. Besonders an Essen, dennoch besitzt Giulia Ersparnisse, die sie bald in ihre Aussteuer für die Hochzeit mit Pietro umsetzen will. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und Giulia findet sich auf einem Überseedampfer wieder mit Ziel New York, Amerika. Dort hat sie Glück und findet Anschluss, einen Mann, bekommt einen Sohn, der das Familiengeschäft erfolgreich fortführt und mit seiner Mutter kurz nach dem 2. Weltkrieg zum ersten Mal das Land seiner Vorfahren besucht.

Giulias Freundin Anita heiratet und ist fest in ihrer Heimat verwurzelt. Die historischen Stürme machen vor der Familie Leone nicht halt. Exemplarisch durchleiden sie über Generationen die Umbrüche im Land. Trotzen den politischen Umwälzungen, den Ernteausfällen, den Naturkatastrophen und versuchen auch die Weltkriege zu überstehen.

Nach über vierzig Jahren besteht nun die Chance, dass sich die zwei Frauen wieder gegenüber stehen am Ort ihrer gemeinsamen Kindheit und Jugend.

Romagnolos Roman ist in drei Bücher aufgeteilt, die eine kleine Hilfestellung in der zeitlichen Einordnung geben soll. Die Autorin ist Fan von Rückblicken, Zeitsprüngen und Perspektivwechsel. Selbst als geübte Leserin fiel es mir nicht ganz leicht jederzeit den Überblick zu behalten. Manch ein Wechsel kommt doch sehr abrupt oder gar achronologisch daher. Aber ich bin nach der Lektüre doch sehr beeindruckt, welch ein komplexes Gemälde vor meinem inneren Auge über dieses halbe Jahrhundert italienischer Geschichte entsteht. So anspruchsvoll das Erzählen auch sein mag, es sind doch viele Bilder dabei, die sich mir tief einprägen. Der zum Teil nüchtern wirkende, bisweilen distanzierte Erzählstil offenbart zwar erst auf dem zweiten Blick seine Emotionen, diese treffen einen dafür umso mehr. Ohne Taschentücher bin ich nicht ausgekommen. Es ist eine anspruchsvolle Lektüre, die sich nachhaltig lohnt.