Rezension

Ein herzerwärmender Schmöker, der ausschließlich in Dialogform erzählt wird

Madame Rosella und die Liebe - Tuna Kiremitci

Madame Rosella und die Liebe
von Tuna Kiremitci

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die Gedanken zum Buch

Madame Rosella ist eine alte Dame, die in Frankreich lebt und außer ihrer Haushälterin Zelda keinerlei Gesellschaft hat. Rosellas Mann Aldo ist verstorben, und da Zelda stumm ist, sehnt sich die alte Dame nach einem Gegenüber, mit dem sie sich unterhalten und austauschen kann. Am liebsten in der türkischen Sprache, denn Madame Rosella hat viele Jahre ihres Lebens als jüdischer Flüchtling in Istanbul verbracht und diese Sprache  – sowie die türkische Kultur – schätzen und lieben gelernt. In der türkischen Studentin Pelin findet sie schließlich eine geeignete Gesprächspartnerin. So treffen sich die beiden Frauen wöchentlich zum Gespräch. Sie reden über das Leben, die Liebe und die Vergangenheit. Während Madame Rosella insbesondere von ihrer Zeit in Istanbul erzählt, berichtet Pelin nach und nach von ihren aktuellen Liebschaften und ihren damit verbundenen Zweifeln. Die alte Dame und die junge Studentin lernen sich mit jedem Treffen besser kennen – und aus einer zweckmäßigen Bekanntschaft wird eine innige Freundschaft. Eine Freundschaft, die geprägt ist von Offenheit, Ehrlichkeit, Vertrauen und einem wahrhaften Interesse an dem Gegenüber. Pelin, die anfangs noch verschlossen und skeptisch war, wird zunehmend offener und fasst immer mehr Vertrauen zu ihrer neuen Freundin. Und auch Madame Rosella empfindet ihren Ausstauch mit der jungen Türkin als äußerst wohltuend und erfrischend.

Der türkische Autor Tuna Kiremitçi hat für seinen Roman einen außergewöhnlichen Erzählstil und besonderen Aufbau gewählt. In 19 Kapiteln stellt er die Unterhaltungen der beiden Frauen dar, wobei jedes Kapitel ein wöchentliches Gesprächstreffen beinhaltet. Dabei ist das gesamte Buch ausschließlich in Dialogform verfasst. Ein literarischer Erzähler taucht an keiner Stelle auf, und Tuna Kiremitçi verzichtet komplett auf Beschreibungen oder Erläuterungen jeglicher Art. Sogar einleitende oder abschließende Worte zu den Dialogen lässt er völlig außen vor. Außerdem gibt es nur einen einzigen Schauplatz: nämlich Madame Rosellas Zuhause in einer französischen Kleinstadt, wo sich Rosella und Pelin zu ihren Unterhaltungen treffen. Somit weist der Roman starke Ähnlichkeiten mit einem Kammerspiel auf. Trotzdem erhält man – gerade durch die Unterhaltungen – einen tiefen Einblick in die „Welt“ und die Vergangenheit der alten Dame und in das Leben der jungen Studentin.

Die eigene Meinung

Auch wenn Kiremitçis Erzählweise zunächst ein wenig gewöhnungsbedürftig und ungewohnt ist und ich einen Erzähler anfangs noch vermisst habe, hat mich doch speziell dieser Erzählstil tief beeindruckt und fasziniert. Der Autor hat nur das begrenzte Erzählmittel der Dialogform zur Verfügung, um seine Charaktere zu beschreiben, lebendig werden zu lassen, ihre Geschichte zu erzählen und den Schauplatz anschaulich darzustellen. Und diese Herausforderung hat Tuna Kiremitçi meiner Meinung nach ausgezeichnet gemeistert. Man liest die Geschichte wie ein Kammerspiel – aus einer gewissen Distanz heraus – und fühlt sich Rosella und Pelin dennoch nah. So als würde man im Nachbarzimmer sitzen und ihren Gesprächen lauschen. Dabei hat der Autor beiden Frauen ihre ganz eigene Stimme und ein individuelles Sprachregister verliehen. Während Madame Rosella – entsprechend ihres Alters – eine eher altertümliche Sprache verwendet, irritiert Pelin sie des öfteren mit modernen Ausdrücken, die meist einer Erklärung bedürfen. Dass Rosella die junge Studentin konsequent „kleines Fräulein“ nennt, stört sie keineswegs. Diese Bezeichnung ist absolut liebevoll gemeint und typisch für die Ausdrucksweise der alten Dame.

Bemerkenswert fand ich, dass es Kiremitçi als Mann gelungen ist, zwei weiblichen Charakteren eine authentische Stimme zu geben und den gesamten Roman aus der Sicht von zwei Frauen zu erzählen. Es imponiert mir, dass ein männlicher Autor sich so intensiv in die weibliche Gedanken- und Gefühlswelt hineindenken und -versetzen kann und es anschließend vermag, diese glaubwürdig zu porträtieren.

An der Geschichte selber hat mich besonders die Entwicklung der Freundschaft zwischen Madame Rosella und Pelin angesprochen und angerührt. Trotz des ernormen Altersunterschiedes kommen sich die beiden Stück für Stück näher und schließen sich gegenseitig immer inniger ins Herz. Sie zeigen aufrichtiges Interesse aneinander und sprechen ehrlich über persönliche Erfahrungen und Gefühle. Sie halten sich nicht zurück mit eigenen Ansichten und wagen es, ihr Gegenüber freundlich zu hinterfragen und liebevoll zu tadeln. Das sind für mich Merkmale einer aufrichtigen Freundin, und ich habe es sehr genossen, Rosella und Pelin beim Vertiefen ihrer Freundschaft zu „beobachten“. Dass es sich hierbei um eine Freundschaft zwischen den Generationen handelt, habe ich als überaus bereichernd und inspirierend empfunden. Ich denke, solch eine innige Beziehung zu einem Menschen mit weitreichender Lebenserfahrung trägt stark zur Horizont-Erweiterung bei und macht das eigene Leben um einiges reicher.

„Madame Rosella und die Liebe“ ist ein ruhiges Buch mit vielen leisen Tönen, die man aus den Unterhaltungen zwischen Rosella und Pelin heraushören kann. Leider verklingen diese Töne an manchen Stellen ein bisschen zu rasch, und ich hätte mir bei einigen Szenen etwas mehr Tiefe gewünscht. Auch ein paar zusätzliche Kapitel hätten dem Roman sicherlich nicht geschadet. Gerne hätte ich die Beziehung der beiden Frauen noch weiter verfolgt und weitere Details über ihre Schicksale erfahren. So verging dieses Lesevergnügen für mich wie im Flug – und zugleich wäre mir eine langsamere und gemächlichere „Lesereise“ lieber gewesen. Nichtsdestotrotz gehört „Madame Rosella und die Liebe“ zu solchen Büchern, die ich gerne mehrere Male in die Hand nehme und mit Freude ein zweites Mal lese.

Das Fazit

„Madame Rosella und die Liebe“ erzählt die Geschichte der außergewöhnlichen Freundschaft zwischen der entzückenden 88-jährigen Rosella und der jungen Studentin Pelin. Ein bezaubernder Roman, der mit ruhigen Tönen auf sich aufmerksam macht und mit zwei reizenden Protagonistinnen für vorzügliche Unterhaltung sorgt. Ein wohltuender Schmöker, der das Leserherz erwärmt.