Rezension

Ein Hoch auf die heutige Hygiene

Der Horror der frühen Medizin - Lindsey Fitzharris

Der Horror der frühen Medizin
von Lindsey Fitzharris

Bewertet mit 5 Sternen

Joseph Lister, Chirurg im viktorianischen England, war Pionier im Bereich der antiseptischen Chirurgie. Er erkannte, dass viele lebensgefährliche Krankheiten wie Wundbrand, zu dem Abszesse und die Sepsis (Blutvergiftung) gehören, von Mikroorganismen verursacht werden. Durch die Einführung der Antisepsis und die Optimierung der Hygiene konnte er die Sterblichkeitsrate nach Operationen deutlich senken.

Um diesen Joseph Lister, seinen Werdegang und die damaligen Lebens- und Arbeitsumstände geht es in „Der Horror der frühen Medizin“. Dabei handelt es sich nicht um eine trockene Biografie, sondern um ein sehr unterhaltsames Buch, das sich quasi in einem Rutsch lesen lässt. Voraussetzung für Vergnügen mit diesem leicht makaberen Lesespaß ist, dass ein grundsätzliches Interesse an der Thematik besteht und sich der Leser nicht von drastischen, blutigen und auch manchmal ekligen Schilderungen abschrecken lässt. Die damaligen Hygienebedingen waren eben sehr rudimentär, um es freundlich auszudrücken, was zur Folge hatte, dass Krankheiten mit übelsten Symptomen grassierten. Diese Symptome und die damaligen Umstände werden nahezu genüsslich, mit einer Prise schwarzen Humors versehen, von der Autorin geschildert.

Der Leser taucht ein in das viktorianische England, in dem die Städte plötzlich dank der industriellen Revolution noch dichter besiedelt waren, die Krankheiten sich dadurch rasant verbreiten konnten und sich auf den Friedhöfen die Leichen stapelten. Leichenräuber hatten aufgrund des Wissensdursts der Chirurgen bis zu einer Gesetzesänderung Hochkonjunktur, nicht selten wurde beim Sterben nachgeholfen, damit frische Leichen geliefert werden konnten. Die Krankenhäuser waren so überfüllt, dass totkranke Menschen, denen nicht mehr geholfen werden konnte, abgewiesen wurden. Operiert wurde auf Tischen, die nicht oder nur notdürftig gereinigt wurden. Wie auf den Kitteln der Chirurgen trocknete dort einfach das Blut und der Eiter der Patienten auf der Oberfläche ein.

Eine Passage, die ich besonders eindrucksvoll fand, gibt meiner Meinung nach sehr passend den Grundtenor dieses Buchs wieder. In dieser Szene geht es um Robert Liston, einem Chirurgen, der ein Star seiner Zukunft war. Liston war für seine Schnelligkeit beim Amputieren berühmt, die nötig war, da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Anästhesie gab. „Sein berühmtestes (allerdings nicht eindeutig belegtes) Missgeschick unterlief ihm, als er während einer Operation so rasant das Messer schwang, dass er seinem Assistenten drei Finger abtrennte und einem dabeistehenden Zuschauer den Rock aufschlitzte. Der unglückliche Zuschauer erlitt vor Ort einen tödlichen Schreck, Assistent und Patient starben später an Wundbrand. Es handelt sich um die einzige Operation in der Medizingeschichte mit einer Mortalität von dreihundert Prozent.“ Wer sich von selchen Schilderungen nicht abschrecken lässt, wobei diese noch harmlos sind, und den morbiden Humor zu schätzen weiß, dem sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt.

Ausnahmsweise möchte ich auch das Buchcover erwähnen. In meinen Augen ist dieses optimal gewählt, denn ohne dieses Cover wäre ich überhaupt nicht auf dieses Buch aufmerksam geworden, da ich vorrangig Unterhaltungsliteratur lese.