Rezension

Ein hochinteressantes Essay und eine faszinierende Kurzgeschichte

Baum und Blatt
von John R. R. Tolkien

Bewertet mit 5 Sternen

„Märchen für Kinder von 9-99“, diese neckisch-herablassende Formulierung ging schon dem Großmeister der Fantasy auf den Geist und in seinem Essay „Über Märchen“ räumt er gnadenlos mit dem Vorurteil auf, dass Märchen primär an Kinder gerichtet sind und diejenigen, die jung, um nicht zu sagen naiv, genug geblieben sind, um an ihnen Freude zu haben. In einem Zeitalter, in dem Märchen immer mehr von Eltern verteufelt und von profitorientierten Herausgebern verharmlost, um nicht zu sagen entstellt, werden, lohnt es sich umso mehr einen Blick auf diese interessante und fundierte Schrift aus den 1940ern zu werfen, die mit vielen Vorurteilen aufräumt. Märchenforschung und Märchenrezeption sind nicht erst seit den 2000ern in der umstrittenen Position die Inhalte auf Kinder zu fokussieren und darüber zu grübeln, wie die Gebrüder Grimm nun wirklich zu ihren Geschichten kamen.

Tolkien spricht in seiner Schrift vieles aus, was mich schon lange an der Märchendiskussion stört. Vieles kann ich ohne weiteres unterschreiben. Dazu ist auch dieser Sachtext großartig geschrieben, sodass es einfach Spaß macht ihn zu lesen. Nicht nur für Literaturwissenschaftler oder Tolkien-Fans eine lohnende Lektüre!

Abgerundet wird das kleine Büchlein mit der Kurzgeschichte „Blatt von Tüftler“, die wunderschön ist und zugleich Tiefgang hat.

Das Essay und die Kurzgeschichte klingen noch lange nach. Beide regen zum Nachdenken an und wecken den Wunsch weitere, unbekanntere Werke von Tolkien zu entdecken, sei es sein erzählerisches Werk oder seine philologischen Arbeiten.