Rezension

Ein Höhepunkt der Kutscher-Kult-Krimireihe

Marlow - Volker Kutscher

Marlow
von Volker Kutscher

Bewertet mit 5 Sternen

Einen Höhepunkt der chronologisch geordneten Reihe um Kommissar Gereon Rath und dessen Ehefrau Charly ist zweifellos „Marlow“, der siebte Band der im Berlin der Dreißiger Jahre angesiedelten und spätestens seit der TV-Serie „Babylon Berlin“ fast schon zum Kult gewordenen, in viele Sprachen übersetzten Krimi-Serie von Volker Kutscher. War der erste Band „Der nasse Fisch“ (2007) noch ein schlichter Kriminalroman vor historischer Kulisse, trat in den nachfolgenden Bänden allmählich die historische Szenerie, die Regierungsübernahme durch die Nazis, immer stärker hervor. Stand in Zeiten der Republik noch der Mensch im Vordergrund der Romane Kutschers ist es in Zeiten der Diktatur das Regime und dessen Methoden, unter dem die Menschen zu leiden und ihr Handeln abzuleiten haben.

In „Marlow“ geht es um einen anfangs unerklärlichen Verkehrsunfall, der sich erst später zum Kriminalfall mausert. Ein Taxi fährt scheinbar grundlos gegen eine Mauer, beide Insassen sind sofort tot. Gereon Rath, gerade im Wechsel von der Berliner Mordkommission ins Landeskriminalamt, findet beim toten Fahrgast eine Akte mit Geheimdokumenten, die eine Observierung des Ministers Hermann Göring durch den SS-Geheimdienst zeigen. Während seiner Ermittlungen entdeckt Rath zudem, dass sein alter Widersacher, der Unterweltkönig Johann Marlow, auch mit diesem Fall zu tun hat.

Die Besonderheit dieses Bandes liegt in dessen Komplexität: Drei Handlungsstränge laufen parallel und werden zudem durch Rückblenden unterbrochen. Einerseits geht es um Gereon Raths laufende Ermittlungsarbeit, die persönlichen Feindschaften innerhalb der Nazi-Führung, die Bespitzelung Görings und dessen Verbindungen ins Drogenmillieu. Gleichzeitig wird Ehefrau Charly, inzwischen als Privatdetektivin tätig, von Marlows rechter Hand, dem Chinesen Liang Kuen-Yao, um Hilfe für seine Ausreise nach China gebeten.

Doch sind dies eher Nebenschauplätze, denn eigentlich geht es um Gangsterboss Marlow, der nicht nur seinen Smoking gegen die SS-Uniform getauscht hat, sondern ausgerechnet in dieser Zeit der NS-Verbrecherherrschaft versucht, dank seiner Kontakte zu Göring aus seinen kriminellen Geschäften auszusteigen und in die legale Geschäftswelt zu wechseln. In den Rückblenden erfahren wir aus Marlows Jugend und begleiten ihn vom Sanitätsunteroffizier im Ersten Weltkrieg bis zum gnadenlosen Boss eines Berliner Ringvereins. Am Ende seines wieder ausgezeichneten Krimis verbindet Kutscher die Handlungsstränge und bringt seine Geschichte zum folgerichtigen und doch überraschenden Abschluss.

Kutscher versteht es, die politische und gesellschaftliche Realität jener Jahre mit der fiktiven Geschichte in Einklang zu bringen. Wieder zeigt er fast beiläufig, wie das NS-System das Alltagsleben beeinflusst und am Beispiel Raths die Familien spaltet. Während Charly die Nazis verachtet, ist ihr Pflegesohn begeistertes HJ-Mitglied. Gereon Rath, unpolitisch und bisher ohne festen Standpunkt, spürt dann aber doch die Gefahr, ein willenloser Mitläufer zu werden: „Die Heil-Rufe schwollen an, je näher der schwarze Mercedes kam, und Rath spürte, dass er, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben und ohne dies bewusst zu wollen, dabei war, mit den anderen den rechten Arm zu heben, weil hier niemand war, der nicht den Arm hob, weil alle es taten; und er merkte, dass er nicht dagegen ankam.“ Auch jenen Lesern, die noch keinen Kutscher-Roman kennen, ist dieser siebte Band „Marlow“ zu empfehlen.