Rezension

Ein hohes Lied auf die Freiheit

Miroloi - Karen Köhler

Miroloi
von Karen Köhler

Meisterwerk oder schrulliges, literarisches Experiment? Karen Köhlers Roman "Miroloi" ist womöglich weder das eine noch das andere, sondern eine durchaus lesenswerte Parabel über Freiheitsliebe.

Wir befinden uns auf einer Insel, vielleicht irgendwo im Mittelmeer, denn es dominieren die Farben Blau und Weiß. Es ist felsig und heiß, es gibt keinen Strom, keine Technik, und die Männer regieren die Frauen. Hier lebt eine junge Frau, ein Findelkind ohne Namen. Sie kann weder lesen, noch schwimmen, kennt nur die Insel. Sie steckt Schläge ein, leidet, kämpft ums Überleben.

 

Karen Köhlers Ich-Erzählerin schreibt in 128 Strophen das Miroloi, also das Totenlied, der Heldin. Es ist ein Lied über Frauen, die nicht lesen und schreiben dürfen, keine Stimme haben und alles erdulden. Selbst brutalste Züchtigungen als selbstverständlichen Teil der Erziehung. Das Lied erzählt nach und nach aber auch vom Mut aufzubegehren.

 

Eine Art Pfarrer, der Bethaus-Vater, hat sich des Waisenmädchens von klein auf angenommen. Er ermutigt sie, bringt ihr heimlich das Lesen bei. Andere Frauen werden ihre Verbündeten. Mit einem hübschen Bethausschüler entdeckt sie später in größter Heimlichkeit und unter Lebensgefahr Lust und Liebe.

 

Wir ahnen es: Die Heldin folgt mehr und mehr ihrer eigenen Stimme, will nicht mehr gehorchen. Ihr Kampf gegen das Patriarchat beginnt …

 

Ist Miroloi ein feministisches Werk, das genau in die Zeit der Meetoo-Debatte passt? Oder nur ein schrulliges Gedanken-Experiment aus längst überwundener Rückständigkeit? Ich denke, es ist weder das eine noch das andere. Ich habe Miroloi als beeindruckende Parabel über die Freiheitsliebe gelesen. Und so würde ich es auch weiterempfehlen.

 

Dass man dabei Karen Köhlers Sprache stellenweise als kindlich-naiv-niedlich, man könnte auch sagen als pseudo-poetisch empfinden kann, stört zunächst nicht. Doch hätte sich der Klang dieses Liedes nicht anpassen müssen, wenn sich die Heldin wandelt und zur jungen, intelligenten, selbstbewussten Frau heranreift? Darüber hinaus werden mehr als einmal banale Erkenntnisse als große philosophische Weisheit verkauft. Das ist schade, weil das Buch derart plakative Effekte gar nicht nötig hätte, ganz im Gegenteil: sie schmälern nur seine Wirkung.

 

Und noch eins: Mussten es wirklich gleich 500 Seiten sein, um ein recht erwartbares Bild einer durch und durch bösen, bösen und – nun ja: zugegeben – erschreckend frauenfeindlichen Gesellschaft zu zeichnen?