Ein junger Lenz
Bewertet mit 3 Sternen
Das Buch wirkt, als wäre es von zwei Autoren geschrieben. Die ersten Kapitel von einem, der jede Beschreibung, jede Szene und jede Handlung auswalzt und viele Sätze braucht, ehe er auf den Punkt kommt; einem, der konstruiert und sich in aufgesetzten Dialogen ergeht, statt die Geschichte fließen zu lassen.
In den späteren Kapiteln erkennt man dann Lenz’ Handschrift besser: Das Wichtigste gekonnt und klar formuliert, dicht beim Protagonisten ohne in ihn zu kriechen und sein Innerstes nach außen zu kehren, statt dessen Raum für die Gedanken des Lesers.
Es ist ein grausames Buch über die Wirklichkeit des Krieges, die Kämpfe, das Verstecken, die Angst und die sinnlosen Befehle, die falschen Entscheidungen. Und es ist völlig gleich, auf welcher Seite man kämpft. Ähnlich wie Remarque in seinen Anti-Kriegromanen schildert Lenz vor allem den Aberwitz des Krieges und das irrsinnige Töten, macht die Soldaten zu Menschen, die in ihrem Alltagsleben niemals auf die Idee kämen, sich mit Gewalt durchzusetzen, und die hier einfach drauflos schießen und absichtlich töten – auch unbewaffnete Zivilpersonen - und sich im Nachhinein eine Rechtfertigung zurecht legen.
Dass und warum Proska zu den russischen Truppen überläuft, bedarf keiner genauen Betrachtung. Die Liebe und der Zufall. Es könnte jedem passiert sein.
Letztlich veruracht der Wechsel ins feindliche Lager zwar zunächst das gute Gefühl, nun auf der „richtigen“ Seite, nämlich der der Partisanen zu stehen und die Nazis zu bekämpfen, aber das Töten und Sterben ist hier wie dort dasselbe.
Vielleicht war es nicht schlecht für den Roman, dass er erst jetzt aufgetaucht ist, denn über 60 Jahre später betrachtet man ihn weniger als ein Buch über einen Verräter als eine weitere laute Stimme gegen Krieg – die ebenso wenig gehört wird wie Tausende vor ihr und nach ihr.
Kommentare
Steve Kaminski kommentierte am 24. Mai 2017 um 21:07
Eine gute und nachdenkliche Rezi - auch mit dem Schlussabschnitt!