Rezension

Ein Klassiker ohne wirkliche Höhepunkte

Washington Square - Henry James

Washington Square
von Henry James

  “Washington Square” von Henry James spielt mit einem sehr klassischem Motiv, dass auch schon 1881 bei seinem Erscheinen ein recht übliches gewesen sein muss: Catherine ist eine eher unscheinbare junge Frau ohne herausragende Talente oder Eigenschaften. Sie lernt auf einer Abendgesellschaft den schneidigen wie eloquenten Morris Townsend kennen und ist beeindruckt von seiner Aufmerksamkeit für sie. Recht schnell wollen sich die beiden verloben, doch ihr Vater hält den jungen Mann nicht für geeignet und verweigert seine Zustimmung.
Dann gibt es noch eine eifrige wie schrullige Tante, die sich sehr für Geheimnisse und Ränkespiele begeistert und deshalb die beiden jungen Menschen zu einer heimlichen Verlobung drängt.
Nun erwartet der geübte Leser solcher Geschichten natürlich einige leidenschaftliche Verwicklungen, Fluchten, weitere Heiratskanidaten, ergreifende Gespräche und all das Beiwerk, dass einen solchen Roman üblicherweise füllt. Dies ist jedoch bei “Washington Square” nicht der Fall. Henry James spielt mit diesen Erwartungen, baut Erwartungen auf, die nie vollkommen eingelöst werden. Doch bereits die Figuren sind nicht das, was man erwartet: Die junge Dame, die man wohl als Sympathieträgerin vermuten würde, ist farblos, langweilig und – wie der Vater ganz zurecht und ein wenig enttäuscht feststellt – etwas einfältig. Durchgängig beschreibt der pragmatische wie zynische Arzt seine Tochter als ein eher weniger gelungenes Exemplar einer jungen Frau. Mich hat es zuweilen wütend gemacht, mit wieviel Kritik und Enttäuschung der Witwer seine einzige Tochter beschreibt. Entsprechend gesteht er ihr natürlich auch kein Urteilsvermögen bei der Wahl ihres Verlobten zu. Der junge Mann sieht zu gut aus, ist zu schneidig und eloquent, um sich wirklich ernsthaft für seine Tochter zu interessieren. Sein eigenes Vermögen hat der junge Townsend durch Suff und Spiel durchgebracht? Natürlich will er nun an das des reichen Arztes ran. Auch wenn man sich ab und an für das junge Liebespaar einsetzen möchte: Die Zweifel des Vaters kann auch der Leser nicht ganz beiseite schieben. Man erfährt unschmeichelhafte Dinge über ihn und die Liebesbekundungen kommen ebenfalls schnell und gar sehr stürmisch. Der junge Liebende überzeugt schließlich seine zögernde – weil sich nach väterlicher Liebe und Anerkennung sehnende – Catherine von einer heimlichen Verlobung. Die altjüngferliche Tante freut sich über die aufkommende Dramatik in ihrem Leben und intrigiert fleißig mit. Doch das Chaos, was nun entsteht, erstarrt zu einer sturen und über Jahre andauernden Patt-Situation.
Wie beim Schach verharren alle Figuren und warten auf den nächsten Zug des Gegenüber. Man wartet auf den großen Knall, der irgendwie ausbleibt.
Mir persönlich waren deshalb alle Figuren etwas zu verkopft, gehässig und undurchschaubar. Es ist zwar auf gewisse Weise spannend und überraschend oder insgesamt blieb ich mit einem unbefriedigten und schalen Gefühl zurück. Keine der Figuren konnte mich mitreißen und der Stil ist nunmal auch typisch Henry James – ein wenig kalt, ein wenig farblos.

Fazit: Ein Buch mit klassischem Setting, unvorhersehbarem Ende und jede Menge Figuren, die sich nicht in die Karten schauen lassen. Wer analytische wie zynische Gesellschaftskritiken mag, ist hier gut beraten. Für Fans von Jane Austen – lauft!