Rezension

Ein kleines Buch mit großer Wirkung

Unsere Seelen bei Nacht - Kent Haruf

Unsere Seelen bei Nacht
von Kent Haruf

Bewertet mit 5 Sternen

Als ich den Klappentext überflog, war mir sofort klar, diese Geschichte muss ich lesen! Es fühlte sich ab dem ersten Augenblick nach einer besonderen Liebesgeschichte an. Und vorneweg gesagt, das war sie dann auch.

Scheinbar leicht, kommt diese kleine Geschichte daher. Addie ist einsam seit sie verwittwet ist und möchte insbesondere ihre Nächte nicht mehr ohne einen anderen Menschen verbringen. Sie ist mutig und lädt ihren langjährigen Nachbarn Louis ein, in den Nächten zu ihr zu kommen. Er, ebenfalls verwittwet, lässt sich darauf ein und bewundert Addie für ihren Mut diesen Schritt gewagt zu haben. Denn sie leben in einer amerikanischen Kleinstadt, in der nichts lange geheim bleiben wird.

In kurzen und einfachen Kapiteln erzählt der Autor, wie das ungewöhnliche Paar sich kennen- und lieben lernt. Wie sie sich gegenseitig in den Nächten von sich und ihrer Vergangenheit erzählen und dadurch zusammenwachsen. Wie sie sich offen den Bürgern der Kleinstadt präsentieren und über das Gerede stellen. Wie sie mutig sind und zeigen, dass man sich als älterer Mensch einer neuen Liebe öffnen und ein neues gemeinsames Leben aufbauen kann. Von einigen Menschen werden sie dafür bewundert und so schenken sie ihnen die Hoffnung auf ebenso eine zweite Chance im Leben.

Alles könnte sich weiterhin wunderbar entwickeln, käme nicht die Bevormundung der eigenen Kinder hinzu, die sich für die Eltern und das Gerede schämen. Ab hier nahmen mich die Ergeignisse ziemlich mit. Ich litt mit diesem "alten" Liebespaar, dem ihr gemeinsam geschaffenes Glück nicht gegönnt werden sollte. Ihre Kinder spielen sich als Eltern auf, verbieten ihnen eigene Entscheidungen zu treffen. Insbesondere traf mich die Bevormundung von Gene, Addies Sohn, sehr ins Mark, indem er seiner Mutter mit dem Entzug des Enkels drohte, wenn sie sich nicht von Louis trennt. Verblendet, verbohrt und unglücklich in seiner eigenen Ehe, besitzt er nicht die Feinfühligkeit und den Respekt, den seine Mutter verdient hätte.

Wie wird sich Addie entscheiden? Wie viel kann Addie ertragen?

Am Ende ist wieder Addie die Mutige. Eine Frau, die sich nicht unterkriegen lässt...

Lange hallten Kent Harufs Worte in mir nach! Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen so alt werden, wie kaum eine Generation vor uns. Wir haben viele Freiheiten. Und doch wird diese vielen alten Menschen ab einem bestimmten Alter wieder geraubt. Obwohl noch mobil, geistig fit und finanziell unabhängig, müssen sie für ihre Eigenbestimmtheit kämpfen.  

Fazit:
Ein kleines, feines und intensives Buch über die Liebe, das Alter und die (Un)Freiheit einer Generation. Obwohl Kent Haruf durch seinen ganz eigenen Schreibstil eine Distanz zu den Protagonisten geschaffen hat, ist diese nur oberflächlich. Das Schicksal von Addie und Louis ist mitreißend, mit wenigen Worten und großer Wirkung. Einfach ein Herzensbuch, ein weiteres Lesehighligt in diesem Jahr.